Jugendbuchmesse Bologna

Aladin, Joyce und die Hinwendung zum Realismus

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Heute geht die Jugendbuchmesse in Bologna zu Ende. Inmitten des gnadenlos übersättigten Fantasymarkts setzen die Verleger wieder auf das vernachlässigte Kinderbuchsegment, von James Joyce taucht eine Fabel auf, Noch-Carlsen-Verleger Klaus Humann hat den Namen für seinen neuen Kinderbuchverlag gefunden – Schlaglichter.

Jammern war gestern. Blickt man in die Gesichter der Verleger in den Bologneser Messehallen, dann merkt man, dass es ihnen gut geht: Lachen. Scherzen. Heitere Gelassenheit. Sie haben Grund dazu: 14 Prozent der Umsätze im italienischen Buchmarkt werden mit Kinder- und Jugendbüchern gemacht, in Deutschland 17,2 Prozent, hier wie in anderen Ländern mit steigender Tendenz. "Die Stimmung ist gut", sagt der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (avj), Ulrich Störiko-Blume. Dass die Großeltern als neue Zielgruppe ins Visier genommen werden, dass sich unabhängige Buchhandlungen behaupten, sind für ihn gute Zeichen. Alles rosig? "Kleinere Verlage haben es schon schwerer, aber sie sind wendig, kreativ, innovativ."
Unter den 1200 Ausstellern aus 66 Ländern sind 52 deutsche Verlage und sieben Agenten, 14 Schweizer und neun österreichische Verlage. Ein Verlag fehlt, merklich: Aufbau. Der erst vor einem guten Jahr sein feines Bilderbuchprogramm aufgestockt hat und ins Jugendbuch gegangen ist. Wie es weitergehen wird, ist den Messeinformanten zufolge sehr, sehr offen.


All Age hat sich beruhigt
Was Trends und Bewegungen betrifft, ist der Befund klar: Die inflationäre Etikettierung von Jugendbüchern als All-Age-Titel funktioniert nicht mehr. "Der Drang zu All Age lässt nach, auch die Summen bei Auktionen – die vor zwei, drei Jahren in die Höhe geschossen sind, sind im Moment deutlich entspannt", resümiert Egmont-Chef Volker Busch. Der Markt werde sich bereinigen, ist cbj-Verleger Jürgen Weidenbach überzeugt: "Die Erwachsenenverlage merken, dass es kein einfacher Markt ist. All Age hat sich ziemlich beruhigt, die Monothematik in Cover und Inhalt ist häufig nur noch epigonal."
Warum die Erwachsenenverlage darauf gesetzt haben, ist kein Geheimnis: Bei den seitenstarken Romanen mit der Hoffnung auf hohe Auflagen gibt’s nun mal auch höhere Summen, merkt Loewe-Lizenzchefin Jeanette Hammerschmidt an. Sie hat, obwohl angloamerikanische Verlage meist kaufresistent sind, Ursula Podnanskis "Erebos" in die USA und nach Australien verkauft und nennt die Kriterien, die beim Verkauf entscheidend sind: "Es ist die Kombination von hohen Verkaufszahlen, der guten Geschichte und der Auszeichnung mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis."

Mehr realistische Geschichten statt Fantasy
Als Gegenbewegung zur Fantasy werde wieder mehr Realismus nachgefragt, bringt Hammerschmidt die Beobachtungen vieler Kollegen in Bologna auf den Punkt. "Contemporary nennen es die Amerikaner", erläutert Störiko-Blume, "realistische Gegenwartsliteratur, was aber keineswegs die Rückkehr des alten Problembuchs bedeutet." Soziale Themen, die "leichter, unterhaltender, spielerischer" erzählt werden, sieht Barbara Gelberg von Beltz & Gelberg im Kommen. "Aber es ist ziemlich schwer, Autoren zu finden, die humorvoll, ironisch und zugleich mit Tiefgang schreiben."
In den Fokus ist die Altersgruppe der Acht- bis Zwölfjährigen gerückt. "Die Buchhändler sagen uns: Macht gute Kinderbücher!", gibt Thienemann-Verleger Klaus Willberg die Stimmen aus dem Handel wieder. "Wir gehen im Kinderbuch runter auf acht Jahre", erklärt Ueberreuter-Verleger Klaus Kämpfe-Burghardt, "da gibt es einen spürbaren Bedarf, vor allem nach Jungstiteln." "Gesucht wird das ganz normale Kinderbuch, starke Einzeltitel – ohne Fantasy", fasst Oetinger-Lizenzchefin Renate Reichstein zusammen. Der Fantasymarkt, auch da sind sich alle recht einig, ist ziemlich übersättigt, obwohl das keiner so offen benennen mag. Schließlich müssen die Titel, die, die vor 18 Monaten teuer eingekauft wurden, in den kommenden Programmen auch wieder abfließen.
Weil alle nur auf Mega-Fantasy- und All-Age-Erfolge geschielt hätten, sei das Kinderbuch in denen vergangenen Jahren schon etwas vernachlässigt worden, sagt Störiko-Blume. Nicht nur er wird mehr Kinderbücher verlegen, am liebsten Einzeltitel, "bei Buchreihen gibt es schon Ernüchterungserscheinungen", sagt Hammerschmidt.
"Uns freut das", meint Gerstenberg-Verlegerin Daniela Filthaut, "wir sind meist um die Kampfplätze der ewig gleichen Cover herumgeschlichen und haben von dem Motto ‚Dabeisein ist alles’ nicht viel gehalten – weil sich zu viele Titel kannibalisiert haben und Lizenzvorschüsse vorausgesetzt haben, bei denen einem schwindlig wird. Das ist nie wieder einzuspielen." Wie Filthaut hat Bloomsbury Kinderbuch-Programmleiterin Natalie Tornai konstant das Kinderbuch hochgehalten: "Und wir haben in diesem Segment sowohl vom Angebot als auch vom Verkauf her zugelegt."

Gezielt deutsche Autoren aufbauen
Gefragt sind weiter Comic-Romane. Die laufen unverändert gut. Von den "Dark Diaries" etwa, ein Greg für Mädchen, haben sich die ersten beiden Bände je 50.000-mal verkauft, Band 3 ist gerade erschienen. "Wir suchen nach tollen Kinderstoffen von deutschen Autoren", sagt Fischer Schatzinsel-Chefin Eva Kutter und erklärt warum:"Es ist enorm wichtig, dass sie in Schulen etc. auch Lesungen halten." Was die anderen Verlage bestätigen. Und Lizenzen kann man auch noch verkaufen. Mehr neue Autoren aufzubauen sei wichtig, sagt Jürgen Weidenbach, was auch Noch-Carlsen-Verleger Klaus Humann bestätigt: "Auch im Ausland sind die Andreas Steinhöfels rar." Nächste Woche wird er mit drei Mitarbeitern die Büros seines neuen Kinderbuchverlags in der Hamburger Erdmannstraße beziehen, dessen Name nun feststeht: Aladin.

Suche nach Stoffen und Geschäftsmodellen
Einen Fuß ins Kinder-und Jugendbuch zu setzen, ist nicht nur für deutsche Verlage wie Piper mit ivi attraktiv. Der Piratförlag der Autoren Jan Guillou und Liza Marklund hat gerade einen Ableger installiert: den Lilla Piratförlaget (Lilla bedeutet auf Schwedisch "klein"), dessen Lektor in Bologna auf Einkaufstour ist. Megaseller sind nach Ansicht der Lektoren nicht in Sicht, allein eine Entdeckung macht von sich reden. Das italienische Verlagshaus Giunti und andere publizieren im Oktober eine bislang unveröffentlichte Fabel, die James Joyce 1936 für seinen Neffen geschrieben hat: "Die Katzen von Kopenhagen".
Bei den Lizenzgesprächen dominieren osteuropäische, skandinavische  und asiatische Verlage, wenn möglich, wird nach hybriden Geschäftsmodellen gesucht: Die britische Egmont etwa lässt bei Michael Grants "Go Bzrk" interaktive Online-Spiele, Apps, Alternate Reality Games zeitgleich zum Buch erscheinen. Von digitalen Formen wird in Bologna erstaunlich wenig geredet, zu viele Unsicherheitsfaktoren lassen zögern. Apps & Co. kosten viel und bringen kaum Geld, so der Tenor. In Italien etwa gibt es 1182 Jugendbuchtitel als E-Book (ePub oder PDF), laut der italienischen Verlegervereinigung AIE wurden mit E-Books insgesamt 2011 im gesamten heimischen Buchmarkt 3,7 Millionen Euro umgesetzt, was 0,2 Prozent ausmacht.