Interview

"Man muss bereit sein, sich zu kannibalisieren"

21. März 2012
von Börsenblatt
Wie wird aus einer Idee ein erfolgreiches Geschäft? Was ist dran an der Buch-Flatrate und wo liegen Chancen und Risiken beim Projekt ProtoTYPE? Start-Up-Berater Christian Lüdtke im Gespräch.

Was empfehlen Sie Unternehmen, die ihre Innovationskultur stärken möchten?
Innovation ist zuallererst ein Thema für den Geschäftsführer. Er oder sie muss es vorleben und glaubhaft kommunizieren. Wenn das nicht passiert, dann wird auch das ganze Unternehmen nicht innovativ werden. Wenn aber erst einmal die Tür aufgemacht wird, dann wird sich eine ganz neue Dynamik entwickeln, in jedem Unternehmen. Davon bin ich überzeugt.
 
Welche Methodik empfehlen Sie, wenn eine Idee zum Geschäftsmodell werden soll?
In der Vergangenheit war es so: Man hat sich auf eine Idee festgelegt und hat dann sehr lange an diesem Thema festgehalten. Diese Methode birgt ein großes Risiko: Selbst dann, wenn die Idee möglicherweise nicht mehr erfolgsversprechend ist, wird weiter reininvestiert. Sinnvoller wäre es, ein Portfolio von Ideen anzulegen, für die man grobe Prototypen ausarbeitet. Es sollten fünf oder mehr sehr unterschiedliche Ideen sein. Damit ist die Erfolgswahrscheinlichkeit höher, dass eine von diesen Ideen wirklich funktioniert. Man ist dann auch eher bereit, zu scheitern. Ganz wichtig ist, dass man sehr schnell und sehr radikal den Stecker zieht, wenn Produkte nicht funktionieren.
 
Wie detailliert soll ein erster Prototype sein?
So detailliert, dass die Grundidee sichtbar wird. Was ist der Kernnutzen? Statt 200 Seiten Research- und Wettbewerbsanalyse führen Sie lieber zügig Nutzertests durch. Hier sammelt man so viel Erfahrung, wie man sie nie in einem Business Plan reinbekommen würde. Das Vorgehen heißt: Machen! Rausgehen an die Zielgruppe, auch wenn das Produkt noch unfertig ist.
 
Wie könnte das bei der Entwicklung einer Website aussehen?
Man baut eine Landingpage, also eine Website mit nur wenigen oder noch keinen Unterseiten und Funktionen. Man kann in dieser Phase auch mehrere Varianten der Landingpage anbieten, mit unterschiedlichen Ansprachen. Auf diese Varianten lässt man eine kleine Kampagne laufen. Das heißt: Google Adwords kaufen und Traffic auf die Seite bringen. Dann schaut man sich an, was passiert. Welche Variante wird am meisten genutzt, was wird geklickt? So erhält man in zwei oder drei Wochen viele Informationen, die in die weitere Projektentwicklung einfließen.
 
Wo sehen Sie momentan erfolgsversprechende neue Produkte  in der Buchbranche?
Es passiert relativ viel, aber mit einer großen Verzögerung. Das Thema E-Book ist sicherlich etwas, woran Verlage arbeiten. Aus meiner Sicht ist es aber immer noch eine sehr konservative Art, wie man über das Produkt darüber nachdenkt. Die Initiativen zielen häufig darauf ab, das Kerngeschäft zu schützen. Man muss bereit sein, sich zu kannibalisieren. Wenn man es nicht selber macht, kann man davon ausgehen, dass es früher oder später andere machen. Das ist die Gefahr.
 
Was halten Sie von Flatrates für Bücher?
Ich glaube sehr stark an das Thema Flatrate. Das ist etwas, was der Nutzer kennt – auch aus der Musikbranche.
 
Welche Chancen und Risiken sehen Sie bei dem Projekt ProtoType?
Die größte Chance ist, dass sich was in der Unternehmenskultur verändert. Bei ProtoTYPE nehmen Leute teil, die Lust darauf haben, Dinge zu bewegen. Diese Begeisterung können sie in ihre Unternehmen hineintragen. Das Problem ist, dass die Gruppen sehr inhomogen sind und dass sich die Projektmitarbeiter über lange Zeit sehr detailliert austauschen müssen – zusätzlich zu ihrem eigentlichen Job. Ein weiteres Problem ist, dass es kein zusätzliches Funding gibt. Man ist nicht in der Lage, einen Prototypen technisch zu entwickeln. Es wäre wünschenswert, wenn es so etwas gäbe oder wenn die teilnehmenden Unternehmen Geld zur Verfügung stellen würden.

Zur Person: Christian Lüdtke ist Gründer und Geschäftsführer des Berliner Unternehmens etventure business ignition. Das Unternehmen entwickelt für Kunden Geschäftsansätze im Internet- und Mobile-Bereich und testet diese im Markt. Frühere Berufsstationen waren der Aufbau und Betrieb der Lernplattform scoyo.de für Bertelsmann und die Position als Senior Vice President im Bereich "New Ventures and Innovation" beim Schulbuchverlag Houghton Mifflin Harcourt.
Christian Lüdtke hielt im Rahmen der Veranstaltung ProtoTYPE auf der Leipziger Buchmesse einen Vortrag, zum Thema Innovationsmanagement, siehe untenstehendes PDF.