Leipziger Buchmesse: bücher.macher-Podium

"Wir müssen die interessanteren Bücher machen"

16. März 2012
von Börsenblatt
Glänzende Geschäfte? Auf dem bücher.macher-Podium der Leipziger Buchmesse ging es am Messedonnerstag um die Zukunft unabhängiger Verlage. Wenn man mit den pfiffigeren Ideen die richtigen Leute erreicht, könnte es klappen. 
Digitale Revolution, ungebremste Konzernkonzentration, Streit ums Urheberrecht – die Buchbranche erlebt, zehn Jahre nach dem letzten Hype um junge Verlags-Neugründer in Deutschland, ihre größte Umwälzung seit Gutenberg. Vor diesem Hintergrund schwebte die Nachricht vom Verkauf des überschuldeten Blumenbar Verlags an Aufbau wie ein Menetekel über der von Felicitas von Lovenberg (FAZ) moderierten Runde, die zum Messeauftakt der Frage nachging, wie es in Zeiten globaler Märkte diesseits und jenseits des Großen Teichs um die Zukunft unabhängiger Verlage bestellt ist – und welche Veränderungen den Independents noch bevorstehen.

Dennis Loy Johnson, als Gründer von Melville House Publishing (New York) und Betreiber des Blogs "Moby Lives" einer der bissigsten und kenntnisreichsten Beobachter des US-Markts, skizzierte eine Realität, die seinen Kollegen aus dem alten Europa (noch) als düsteres Zukunfts-Szenario erscheinen muss: Heute publizieren Melville House und andere Indies viele der Autoren, die noch vor 20 Jahren in großen Häusern erschienen wären – Bücher von Fallada (vormals Simon & Schuster), Nobelpreisträger Imre Kertesz (vormals Knopf) oder jüngst David Graeber. Dessen Überraschungserfolg "Debt" rettete Melville House durch ein schwieriges letztes Geschäftsjahr – inzwischen hat der Occupy-Vordenker, der seine Leser fröhlich zum Raubkopieren animiert, bei Random House unterschrieben. Die Independents besetzen tapfer ihre Nischen – doch der Markt, auf dem sie antreten, ist alles andere als unabhängig; er wird von einer Handvoll Verlags- und Medienkonzernen und scheinbar allmächtigen Händlern wie Amazon bestimmt. Selbst in unabhängigen Buchhandlungen, so Johnson, grassiere inzwischen ein Volkssport namens "Show-Rooming" – man scannt sich durchs Angebot und kauft anschließend billig beim Online-Krösus.

Während Johnson und Elisabeth Ruge (Hanser Berlin) energisch die Preisbindung als Schutzwall einer vielfältigen Bücherlandschaft gegen die Allmacht der Konzerne hochhielten, provozierte Wendelin Hess vom kleinen Zürcher Echtzeit Verlag mit dem dieser Tage eher selten gehörten Plädoyer für ein freies Rabatt-Spektrum. Echtzeit hat einen hohen Direktvertriebsanteil, verkauft aber auch über Amazon und die Migros-Tochter Exlibris "Mit Preisbindung würden wir weniger Bücher verkaufen. Und da sie heute schon tendenziell zu billig sind, würden sie dann wohl noch billiger."

Darüber darf man streiten – unstrittig ist, dass in Zeiten, wo sich unterm Druck der Amazon & Co. klassische Handelsstrukturen auflösen, pfiffige Ideen gefragter denn je sind. Die Gratis-App, die Echtzeit seit letztem Sommer anbietet – jedes Buch kann direkt bestellt werden und wird portofrei geliefert – ist für Wendelin Hess die Fortschreibung der klassischen Verlagsbuchhandlung in der elektronischen Welt. "Wenn Sie ihr Gemüse auf dem Bauernhof kaufen – warum dann nicht das e-Book beim Verlag?"

Auch Dennis Johnson mag nicht in den Klage-Gesang derer einstimmen, die mit dem Siegeszug digitaler Medien das Ende des Holzbuchs für gekommen sehen. Die Antwort von Melville House sind "enhanced print-books" – schön aufgemachte Paperbacks, die den Leser auf der letzten Seite zu zusätzlichen Web-Inhalten führen. Zu Melvilles "Bartleby, der Schreiber" gibt es neben Briefen des Autors etwa einen zeitgenössischen Stadtplan von Lower Manhattan – die Geschichte über einen frühen Vorfahren der heutigen Occupy-Bewegung liegt mittlerweile in fünfter Auflage vor. Johnson schwört auf die friedliche Koexistenz von Print- und Digital-Kultur: "Beides ist wunderbar!"

Wie also kann man unabhängig überleben? "Sie brauchen ein geradezu protestantisches Arbeitsethos und ein unverkennbares Profil", meint Elisabeth Ruge, die als Verlegerin erlebt hat, wie schnell man "in einen Kontext eingespeist wird und am Ende im Konzerneintopf verschwindet". Doch hatte nicht auch Blumenbar ein Profil? Johnson und seine Kollegen arbeiten an einem Netzwerk, das Independent-Verleger und die mindestens ebenso bedrohten unabhängigen Buchhandlungen verbindet. Gibt es – allen Unkenrufen zum Trotz – noch immer Raum für innovative, unabhängige Gründer? "Eigensinn, Beharrlichkeit und Optimismus", so die einhellige Meinung auf dem Podium, sind unabdingbar. "Die Branche wird immer von den Großen bestimmt werden", meint Dennis Johnson. "Wir müssen einfach die interessanteren Bücher machen." Nix für selbstzufriedene Gemüter.

Nils Kahlefendt