Schweiz

Warum die Romandie "Ja zum Buch" gesagt hat

15. März 2012
von Börsenblatt
Zumindest die französischsprachigen Bürger der Schweiz hätten die Buchpreisbindung gern zurück gehabt - mehr als 60 Prozent der Westschweizer stimmten beim Volksentscheid am Sonntag für das Gesetz. Die "Kulturnation" innerhalb der helvetischen Grenzen kennt eben schon seit 20 Jahren englische Verhältnisse auf dem Buchmarkt - eine Analyse von Carlo Bernasconi.

Die Romands, wie die Westschweizer genannt werden, kennen seit gut 20 Jahren keine Buchpreisbindung mehr. Doch im Vergleich zur Deutschschweiz, die seit fünf Jahren keine festen Bücherpreise mehr hat, sind prozentual mehr Buchhandlungen vom Markt verschwunden. Seit dem Jahr 2000 haben mehr als 50 Sortimenter dicht gemacht – bei einer Gesamtbevölkerung von knapp drei Millionen Menschen.

2000  - das ist ein markantes Jahr in der Buchhandelsgeschichte der Romandie. Damals trat die FNAC auf den Plan. Erst in Genf, dann in Lausanne und schliesslich im zweisprachigen Freiburg im Uechtland. Die aggressive Preispolitik des französischen Filialisten führte zu einem Massensterben im Sortiment. Wenige Buchhandlungen blieben übrig.

Heute zählt der Branchenverband ASDEL, sozusagen der "Börsenverein" der Westschweiz, noch 65 Buchhandlungen, 60 Verlage und elf Auslieferungen zu seinen Mitgliedern. Sie müssen sich in einem Buchmarkt mit geschätzten 270 Millionen Franken (rund 223 Millionen Euro) zurecht finden. "Die meisten Verlage präsentieren zwei bis fünf Titel jährlich", sagt ASDEL-Sekretär Jacques Scherer. Zu viele zum sterben...

Buchhändlerisch wird die Romandie von der Ladenkette Payot dominiert, die einen Marktanteil von geschätzten 35 Prozent hält. Sie gehört wie die Auslieferungen Office du Livre und Diffulivre zu Lagardère-Services im gleichnamigen Verlagskonzern. Beide Auslieferungen wiederum halten einen Marktanteil von knapp 85 Prozent.

Ergo, und weil der Westschweizer Buchmarkt lediglich drei Prozent des gesamten Umsatzes eines Pariser Grossverlags ausmacht (in der Deutschschweiz liegen die Marktanteile Schweizer Buchhändler am Umsatz von deutschen Verlagen zwischen fünf und acht Prozent), kümmert sich Largadère auch nicht um die Preise – anders gesagt: Überhöhungen von bis zu 40 Prozent gegenüber dem französischen Euro-Preis sind an der Tagesordnung und müssen vom Buchhandel "geschluckt" werden.

Aber nicht mehr lange. Pascale Vandenberghe, CEO von Payot, strebt an, die Bücher selber aus Frankreich zu importieren. Er ist davon überzeugt, dass der Markt reformiert werden muss, weil der Konsument diese Überteuerung nicht mehr mitträgt. Tatsächlich haben seit Sommer 2011, als der Euro bedrohlich die Frankenparität touchierte, die Konsumenten das Auto genommen und sind über die Grenzen gefahren. Die "Fauleren" bestellten ihre Bücher über amazon.fr.

Es waren die Romands, die 2004 den Anstoss gaben zu einem nationalen Preisbindungsgesetz für die Schweiz. Der mittlerweile verstorbene Nationalrat Jean-Philippe Maitre hatte eine parlamentarische Initiative eingereicht, die auch von den später vehementen Gegnern eines Preisbindungsgesetzes unterzeichnet worden war. Maitre hatte die desolate Situation in der Romandie erkannt und war zur Tat geschritten – unterstützt natürlich von den verbliebenen Buchhändlern. Und von der Bevölkerung, die ihre Buchhandlungen liebt – mehr als in der Deutschschweiz?

Das nicht, aber die Sensibilität und das Misstrauen gegenüber den Necons und liberalen Schwadroneuren sind in der Romandie tendenziell grösser. Und schliesslich gelten die Romands (wie auch die Tessiner) als lebens- und genussfreudiger. Die "Weltwoche" versuchte in einer Titelgeschichte, die Westschweizer als die Griechen der Schweiz zu etikettieren. Diese revanchierten sich nicht etwa mit einem Aufschrei, sondern mit übertrieben überzeichneten Titelblättern auf Facebook.