Leipziger Buchmesse

Von Feindbildern und der Freiheit des Wortes

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Verleger haben es in diesen Wochen und Monaten nicht leicht. Warum? Antworten gab Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder am Mittwoch bei der Eröffnung der Leipziger Buchmesse. Seine Gewandhaus-Rede im Wortlaut.

"Verleger haben es in diesen Wochen und Monaten nicht leicht. Bislang habe ich meinen Beruf als kreativ erlebt. Ich habe Texte und Inhalte gefunden, bei denen ich für wichtig erachtete, dass sie publiziert würden, ich habe dabei vertrauensvoll mit Autorinnen und Autoren zusammengearbeitet, habe mit ihnen Rechte und Pflichten geteilt, habe mit Lektoren und Mitarbeitern diskutiert und es als die schönste Aufgabe des Verlegers empfunden, aus unscheinbaren Manuskripten wirkmächtige Bücher machen zu können. 

Jetzt lese ich, die Verlagsmenschen seien als Rechteverwerter, Inhaber von Nutzungsrechten, als Makler von Inhalten Angehörige einer Content-Mafia.

Die Diskussion über das Netz, über dessen Inhalte und den Umgang damit, die Diskussion über das Urheberrecht und über seinen Rang als geistiges Eigentum, die Forderung, es – wenn überhaupt – den Lebensbedingungen des Netzes unterzuordnen, lässt mich über die Rahmenbedingungen unseres Berufsstandes nachdenken, so wie ich es in den vergangenen 38 Jahren meiner beruflichen Tätigkeit nicht getan habe.

Jetzt haben sich Zehntausende von medial Interessierten lautstark an ACTA entzündet. Für die Verleger von Büchern ist das Anti-Counterfeiting Trade Agreement ein Signal an diejenigen Länder, die dem Schutz des geistigen Eigentums noch keine ausreichende Bedeutung beimessen. Das internationale Handelsabkommen dient dazu, die in Europa bereits bestehenden Standards zum Schutz des geistigen Eigentums auch weltweit zu gewährleisten. Alle Regelungen des Abkommens entsprechen der geltenden Rechtslage in Deutschland und bringen keine Änderung des bestehenden EU-Rechts mit sich. 

Diejenigen, die in den vergangenen Wochen gegen ACTA demonstriert haben, definieren das Abkommen als ersten Schritt zu einem Überwachungsstaat im Internet. Sie sind überzeugt, dass durch unklare Formulierungen innerhalb des Abkommens Tür und Tor geöffnet werden für eine mögliche Kontrolle von Informationen und die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Netz.

Es ist gut, wenn die Untersuchung des Europäischen Gerichtshofs eine Klarstellung bringt, ob ACTA mit EU-Recht und der europäischen Grundrechtecharta vereinbar ist oder nicht. Dann können hoffentlich diejenigen beruhigt werden, die vom Angriff auf die Meinungsfreiheit, der Abschaffung des free flow of information und einer drohenden Zensur sprechen. Vermutungen, Halbwahrheiten und das Spiel mit der Angst waren selten förderlich bei der Wahrheitsfindung.

Die Freiheit des Wortes ist die Basis der demokratischen Gesellschaft und damit der freien verlegerischen und buchhändlerischen Tätigkeit. Grundlage unserer Arbeit ist das Recht auf freie Meinungsäußerung und der Zugang zu jeglicher Information, wie es in Artikel 19 der Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben ist. Verleger und Buchhändler setzen sich weltweit dafür ein. Verleger und Buchhändler wollen keine Zensur, sie setzen auf Meinungsfreiheit und auf den free flow of information. Wer also argumentiert eigentlich gegen wen? Und warum?

Der Schutz des Urheberrechts und der freie Zugang zu Informationen sind zwei Anforderungen, die sich ergänzen, nicht widersprechen. Weder verhindert das Urheberrecht den freien Zugang zu Informationen noch sind Informationen garantiert weltweit zugänglich, wenn sie nicht mehr dem Urheberrecht unterliegen. Gleichzeitig bedeutet "free" nicht "kostenfrei" – das wäre ein Übersetzungsfehler. 

Und weiter: Die Freiheit, die eigene Meinung äußern und den eigenen Gedanken oder das eigene Werk dauerhaft publizieren zu dürfen, und die Freiheit, über die Verbreitung dieser Äußerung nach Umfang und Dauer selbst entscheiden zu können, gehören zusammen. Zum Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gehört das Recht am geistigen Eigentum und das Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich Umfang und Dauer der Verbreitung der eigenen Meinung.

Bemerkenswert an der Diskussion um den Schutz des geistigen Eigentums ist die Aggressivität, mit der sie im Internet geführt wird. Es bildet sich ein Graben. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die den freien oder zumindest kostenfreien Zugang zu Information und Wissen verlangen unter Abschaffung oder völliger Veränderung des Urheberrechtes. Auf der anderen Seite befinden sich jene, die kulturelle Inhalte entdecken, veredeln und der Öffentlichkeit gegenüber sichtbar machen. Dass diese "Mafia", wie sie tituliert wird, von Autoren, Übersetzern, Grafikern, Zeichnern und anderen Kreativen den Auftrag für ihr Tun erhält, wird gern unterschlagen. Schon heute hat jeder das Recht, seine Werke jedem frei zur Verfügung zu stellen. 

Man könnte diesem Befund entnehmen, dass es den Kritikern des bestehenden Urheberrechts eher um den Erhalt eines digitalen Raumes geht, in dem der Staat nichts zu suchen haben soll und in dem die Verfolgung von Straftaten unmöglich gemacht werden soll. Und nicht um Meinungsfreiheit und Demokratie. 

Doch was heißt es, wenn das Urheberrecht den Erfordernissen des Internets angepasst werden soll? Heißt "Freiheit im Netz" "kostenlos im Netz"? Auch ein Leser und Nutzer im Netz wird einsehen, dass Kreative für ihre Arbeit honoriert werden müssen. Aber wie sieht das mit den Verlagen aus? Fällt hier das Feindbild leichter aus?

Sind denn Verlage und Autoren nicht Partner? Arbeiten sie nicht gemeinsam daran, das Werk in seiner bestmöglichen Form erscheinen zu lassen? Dass es seine Authentizität behält und auffindbar ist? Und dass möglichst viele Leser davon erfahren? 

Was sich derzeit abzeichnet, ist ein Kulturkampf, in dem das digitale Medium selbst zur kulturellen Herausforderung wird. Permanenz, Öffentlichkeit und Auswahl unter dem vielen – das sind die Standards, die das Buch- und Verlagswesen zum unverzichtbaren Element neuzeitlicher Kultur haben werden lassen. Grundlage dieser Kultur ist das aktuelle Urheberrecht. Wenn wir es infrage stellen, setzen wir viel aufs Spiel. Geistiges Eigentum sichert erst die kulturelle Vielfalt. Deshalb kann eine aufgeklärte Kulturnation auf das Urheberrecht nicht verzichten."