Glosse

Amazons fröhliches Städteranking

13. März 2012
von Börsenblatt
Mainz ist die lesefreudigste Stadt Deutschlands, verkündet eine aktuelle Pressemitteilung des Internet-Händlers Amazon.de. Warum? Weil dort pro Kopf der Bevölkerung die meisten Bücher und Kindle eBooks auf Amazon.de gekauft werden. Was an dieser Meldung so spannend ist, glossiert Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen.

Gutenberg müsste spontan auferstehen: Die Stadt, in der er den Druck mit beweglichen Lettern erfand, ist die "lesefreudigste" Stadt Deutschlands – und dies, obwohl Mainz, gemessen an seiner Bevölkerung, unter den deutschen Großstädten nur Rang 39 belegt.

Auf Platz 2 der "belesensten" Städte folgt Bonn, dann Freiburg im Breisgau, dann München (Platz 4). Woran das wohl liegt? Amazon weiß die Antwort: Die Top Twenty des Rankings werden von Städten eingenommen, die zugleich Sitz einer Universität sind. (München hat sogar mehr als eine!) Dort wird offenbar besonders viel gelesen, weil es dort bekanntlich viele, viele Studenten gibt, die mehr lesen als alle anderen Menschen auf der Welt. Hochschullehrer können ein Lied davon singen. Und diese Studenten sind so phänomenal, dass sie besondern gern bei Amazon.de einkaufen. Denn Bücher – ist es etwa nicht so? – gibt es nur bei Amazon. Da sieht der stationäre Buchhandel in Mainz, Hannover oder Leipzig ganz schön alt dagegen aus – oder?

Warum aber liegt Berlin bei Lesefreudigkeit nur auf Platz 14? Bei mehr als zwei großen Unis? Liest der Berliner etwa nicht so viel wie der Mainzer – oder weiß er etwa nicht, wo man Bücher kauft?

Die Lösung des Rätsels findet die Pressemitteilung von Amazon ganz woanders. Hat nichts mit beweglichen Lettern zu tun: "Die Top 7: Mainz, Bonn, Freiburg im Breisgau, München, Frankfurt a. M., Karlsruhe und Münster gehören nicht nur zu den lesefreudigsten Städten Deutschlands, sondern sind auch die Städte, deren Einwohner gerne kochen und reisen. München ist die Stadt, in der am meisten Kochbücher und Reiseliteratur gelesen wird."

Das sind doch schlagende Argumente: Wer gern kocht oder reist, liest gern – und surft gern: im Netz zu Amazon.de! Noch Zweifel?

Ganz finster aber sieht es im Ruhrgebiet aus, sagen die Online-Auguren: "Betrachtet man ganz Deutschland, lesen die Menschen im Ruhrgebiet weniger Bücher und Kindle eBooks, denn große Ruhrstädte wie Dortmund, Bochum oder Duisburg fehlen ganz in den Top 20."

Dafür gibt es, auch wenn sich sämtliche Logiker im Grabe umdrehen, nur eine Erklärung: Der Reviermensch reist nicht, er kocht nicht, er hat vielleicht nicht mal einen Internetanschluss – also liest er auch nicht! Das kann ich nur bestätigen, denn ich komme selbst aus dem Ruhrgebiet. Lesen war mir immer schon fremd! Und, falls Sie es noch nicht gewusst haben: Im Ruhrgebiet gibt es keine Bibliotheken und keine lesefreudigen Studenten, die vielleicht online kaufen – denn Dortmund (Unistadt), Bochum (Unistadt), Duisburg (Unistadt) und Essen (Unistadt, kommt bei Amazon gar nicht vor) tauchen im Ranking der größten Städte ja gar nicht auf! Sind die etwa alle zu blöd, Amazon zu finden? Oder haben die eine ganz merkwürdige, revierspezifische Resistenz gegen Online-Angebote?

Das Ganze ist ein syllogistisches Meisterstück:

Prämisse 1: Wer kocht und reist, ist lesefreudig.

Prämisse 2: Lesefreudig ist der, der auf Amazon.de besonders viele Bücher und E-Books kauft.

Conclusio 1: Wer bei Amazon viel kauft, kocht gern.

(Conclusio 2, schon unter Alkoholeinfluss: Johannes Gutenberg hat das Kochbuch erfunden, weil die Mainzer Küche deutschlandweit die beste ist!)