Schulbuchmarkt

"Eine Art geistige Osterweiterung"

9. März 2012
von Börsenblatt
Manfred Mack (Deutsches Polen-Institut) im Interview über das Thema Polen im Schulunterricht, Stereotype und das Schulbuch "Polnische Gesellschaft", das auf der Leipziger Buchmesse präsentiert wird.

Auf der Leipziger Buchmesse wird der dritte Band der Unterrichtsmaterialien in Zusammenarbeit mit dem Cornelsen Verlag vorgestellt. "Polnische Gesellschaft" ist der Titel. Was ist das Konzept hinter der Reihe?
Die Bände richten sich an Lehrer und Schüler. Wer sich einmal Schulbücher für den Deutsch- und Geschichtsunterricht oder Gemeinschaftskunde anschaut, der wird sehen, das Polen nur am Rande vertreten ist. Dem steht die Tatsache entgegen, dass sich seit 1990 rund zwei Millionen deutsche und polnische Schüler zum Austausch getroffen haben. Die Buchreihe soll das vermitteln, was ansonsten nicht in Lehrbüchern steht, was die betroffenen Schüler oder Lehrer aber wissen sollten. Das Ziel ist eine Art geistige Osterweitung. Unser Konzept sieht so aus, dass es sich um Ergänzungsmaterialen handelt - kein Lehrer wird alle drei Bände zur Literatur, Geschichte und Gesellschaft komplett durcharbeiten. Die Inhalte sollen ergänzend eingesetzt werden und eignen sich auch sehr gut für Schüler, zum Beispiel zur Vorbreitung von Präsentationen im Abitur oder bei Projektwochen. Obwohl es Schulbücher sind, hat ein Rezensent einmal sinngemäß geschrieben: "Auch wenn sie dem Schüleralter schon entwachsen sind, können Sie sich mit Hilfe dieser Bücher über Geschichte, Politik und Kultur Polens kompetent informieren." Das ist auch sehr gut möglich, zumal der Preis dank der Förderung durch die Robert Bosch Stiftung mit 15 bis 20 Euro relativ günstig ist.

Auf wie viele Teile ist die Reihe ausgelegt?
Aktueller Planungsstand: Die Reihe ist mit diesem Band zunächst abgeschlossen. In Kooperation mit dem Cornelsen Verlag oder auch selbstständig wollen wir aber zukünftig aktuelle Materialen als Onlineressource zur Verfügung stellen. Das Projekt "Bildungsportal Polen" ist derzeit in der Konzeptionsphase, danach suchen wir nach Partnern und Geldgebern.

Welchen Zweck verfolgen die beigelegten CDs?
Bei "Polnische Literatur" handelt es sich um eine Hör-CD: Polnische Gedichte werden auf Deutsch und Polnisch vorgetragen. Das soll einen zusätzlichen Reiz bieten. Bei den anderen Bänden hängt es mit der Konzeption zusammen: Der Lehrer kann aus dem Buch unproblematisch Lehrmaterialen zusammenstellen und für seinen Unterricht einsetzen. Das ist praktischer als das Abkopieren.

Auf welchem Stand sind eigentlich das Lehrbuchprojekt und die Einführung eines Unterrichts "Polnisch als 3. Fremdsprache"?
Das Lehrbuchprojekt ist abgeschlossen: zwei Lehrbücher, eine Audio CD, ein grammatisches Beiheft und zwei Arbeitsbücher sind erschienen. Das Neue daran: Es gab vorher zwar Lehrbücher, aber keines, das den Anforderungen für Polnisch als dritter Fremdsprache entsprochen hätte. In manchen Ländern scheiterte die Einführung des Sprachunterrichts als reguläres Fach daran, dass ein solches Lehrbuch fehlte. Insofern kann man schon von einer Initialzündung sprechen. Genutzt wird das Buch aber auch von AGs - diese bilden meistens die Grundlage für ein späteres Wahlfach. Schwerpunktmäßig wird der Titel in Berlin, Brandenburg und den angrenzenden Bundesländern genutzt, aber auch in NRW ist Polnisch an vielen Schulen  im Sprachunterricht vertreten. Genaue Zahlen über die Nutzung gibt es aber leider nicht.

Polen und Deutschland verbindet eine besonders intensive Geschichte miteinander. Auch der polnische und deutsche Buchmarkt sind eng miteinander verzahnt. Gleichzeitig scheinen auch die Vorurteile beiderseits besonders stark zu sein. Warum ist das so?
Zum einen ist es offensichtlich, dass es bestimmte Stereotypen gibt: "Der Pole klaut", "Polnische Wirtschaft", "Deutsche sind Nazis" usw.  In den letzten 20 Jahren hat sich aber einiges zum Besseren verändert, das zeigen groß angelegte, repräsentative Umfragen. In Polen hat sich in dieser Hinsicht etwas mehr bewegt als bei uns. Heute im Jahr 2012, ist das Problem der Stereotypen aber nicht so groß, wie das des Desinteresses. Stereotypen, die über zwei Jahrhunderte gewachsen sind, verschwinden nicht nach 20 Jahren Partnerschaftsvertrag. Die Annäherung wird Jahrzehnte dauern. "Das Problem ist nicht, dass wir Stereotypen haben, sondern dass es so wenige sind", hat Albrecht Lempp sehr gut beobachtet. Man sollte etwas gelassener auch auf die eigenen Stereotpyen reagieren: Nicht jeder Witz über Polen oder Deutschland gefährdet gleich die Freundschaft.

Das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt verfügt nicht bloß über eine der größten Bibliotheken zum Thema Polen, die Instituts-Mitarbeiter fungieren auch unermüdlich als Autoren, Übersetzer und vor allem Herausgeber von Büchern und Buchreihen. Was sind die aktuellen Projekte?
In wenigen Tagen wird unser "Jahrbuch" zum Thema Regionen in Polen erscheinen und mit "Legitimation und Protest " sowie einem Band zur Erinnerungskultur wird die Reihe "Veröffentlichungen des Deutschen Polen-Instituts" im Harassowitz Verlag fortgesetzt. Bei der WBG soll ab Herbst 2013 eine vierbändige deutsch-polnische Geschichte erscheinen.

Fragen: Kai Mühleck 

Manfred Mack ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Polen-Institut in Darmstadt. Er studierte Slawistik und Sportwissenschaft an den Universitäten Tübingen und Krakau.

Eine Übersicht zu den Neuerscheinungen des Deutschen Polen-Instituts finden Sie im Anhang oder hier.