Interview mit Friedrich Forssman

Auf der Suche nach dem Buchartigen

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Friedrich Forssman hat vor kurzem eine Neugestaltung der Reclam-Hefte vorgenommen und ihnen so ein neues Gesicht verpasst. Warum er dabei an "Vatermord" dachte und wie er die Hefte "buchartiger" machen wollte, verrät er im Interview mit boersenblatt.net.

Reclam-Bändchen haben weder Shuffle-Funktion noch Volltextsuche und können einem auch nichts vorlesen. Ihrer Liebe tut das keinen Abbruch?
Ich liebe Bücher, weil sie die Kontemplation fördern – und damit das Kostbarste, was wir haben. In dem Moment, wo ich Informationen elektronisch suchbar, scrollbar, zappbar habe, bin ich auch ständig am Suchen, Zappen und Scrollen. Ich habe Lesegeräte ausprobiert, dabei jedoch gemerkt, dass ich mich nicht mehr im Raum des Buchs orientiere. Sondern eine amorphe Textmasse vorgesetzt bekomme, die mich ungeduldig werden lässt.

Was finden Sie gerade an kleinen Büchern so großartig?
Meine Liebe zur Universal-Bibliothek geht bis in die Kindheit zurück. Ich habe die Heftchen stapelweise, vor allem in Marburger Antiquariaten, gekauft. In meinem Haus sind heute Aberhunderte, auch aus dieser Zeit. Ich mochte damals wie heute, es ein bisschen auch den Antiquariaten zu überlassen, was ich so lesen werde.

Auch eine Art Shuffle-Funktion ...
Aber eine sehr unmittelbare. In den Regalen in meinem Flur stehen immer auch Reclam-Hefte mit dem Gesicht nach vorn vor den Büchern. Als Aufforderung, sie beim nächsten Gang irgendwohin mitzunehmen. Warum jetzt nicht mal Wielands "Geschichte der Abderiten" oder "Apologie des Zufälligen" von Odo Marquardt? Es gibt keinen Raum hier im Haus, wo die Hefte nicht herumliegen.

Die "Universal-Bibliothek" ist eine der wenigen Marken auf dem deutschen Buchmarkt – wann haben Sie angefangen, von einer neuen Reihengestaltung zu träumen?
Ich bin vor rund acht Jahren auf Verlagsleiter Frank Rainer Max zugegangen und habe ihm gesagt: Ich finde, dass die UB anfängt zu altern ...

Woran haben Sie’s festgemacht?
Der angeschnittene Balken ist ein 80er-Jahre-Kürzel, damals hat man dieses Element sehr oft gesehen. Wenn man etwas neu gestaltet, heißt das ja nicht, dass man das Alte schlecht findet. Aber die Reihe muss, um weiter zu leben, frisch bleiben. Natürlich hatte ich mich verdächtigt, ob das nicht eine Art von "Vatermord" ist? Aber das entspricht wahrlich nicht dem Verhältnis, das Hans-Peter Willberg und ich hatten. 

Lastet die Tradition nicht tonnenschwer? Noch dazu, wenn es der eigene Lehrer war, der zuletzt Hand angelegt hatte?
Es gibt die französische Redensart: Je suis grand dans mon métier, mais mon métier est petit. (Ich bin groß in meinem Fach, aber mein Fach ist klein). Und so ist auch die Neugestaltung der UB bisher immer pragmatisch geschehen, nie verkrampft. Da hatte Reclam eine sichere Hand. Die UB war stets zeitgemäß gestaltet – aber auch so gelassen, dass jede Version problemlos zwei Jahrzehnte Bestand haben konnte.

Es ist ein Spagat zwischen behutsamer Modernisierung und Tradition?
Kein Spagat, bei dem man eine Art von Kompromiss machen muss. Insofern ist das Wort Spagat nicht ganz zutreffend. Buchreihen sollen im Idealfall Teil Jahrzehnte überdauern, siehe die Suhrkamp-Bibliothek, siehe Manesse. Trotzdem sieht man all diesen Reihen den Zeitpunkt ihrer Entstehung an. Die Fleckhaus-Gestaltung der Suhrkamp-Bibliothek verweist eben auf die 60er ... Wenn es gelingt, seine eigene Zeit zu repräsentieren, also modern zu sein, ohne aber modisch zu werden – dann hat man gewonnen. Ich fand das "Willberg-Kürzel", bestehend aus dem Balken und dem darunter stehenden Verlagsnamen, nach wie vor hochwirksam. Damit wurde zum ersten Mal etwas Grafisch-Ikonisches in die UB eingeführt. Die Kombination aus Gelb und schwarzem Balken reicht seitdem aus, um eine unprätentiöse Literaturanmutung hervorzurufen.

Warum etwas verändern, was doch gut ist?
Weil sich die Zeit geändert hat. Die Neugestaltung ist ja auch mehr eine Überarbeitung – wie ja auch schon die Willberg-Gestaltung von 1988, die eine Überarbeitung des Entwurfs von 1970 war.

Was war die größte Herausforderung?
Den Auftrag zu bekommen (lacht). Es handelte sich ja um eine Kalt-Akquise. Ich habe dem Verleger jedes Jahr in Leipzig und Frankfurt gesagt, dass ich das machen möchte. Der Verlagsleiter, Frank R. Max, gab mir dann vor ein paar Jahren den Auftrag, "Reclams großes Buch der deutschen Gedichte" zu gestalten, damals mit den Worten: "Auch, wenn es noch nicht die UB ist". In dem Moment wusste ich, dass ich über Kurz oder Lang gewonnen hatte. Als der Auftrag dann kam, ging die Gestaltung eigentlich sehr schnell. Wie heißt es im "Hagakure": "An große Dinge muss man so herangehen, als ob sie von geringer Wichtigkeit wären." 

Immerhin – bislang wurde stets vor allem das Kleid neugestaltet, eine systematische Innengestaltung gab’s nicht. Meist wurde sie den Setzern und Herstellern überlassen. Mit Ihnen durfte jetzt ein ausgewiesener Lesetypograf ran ...
Es ging nicht darum, eine große, freche, zugespitzte Geste zu finden. Sondern darum, wieder etwas Entspanntes zu machen. Ich wollte die Hefte gern etwas lesefreundlicher, buchartiger haben, auch, weil das meine UB-Leseerfahrung widerspiegelt. Und solch ein bibliophiles Element ist eben ein Schildchen. Das kann man ja einfach aussparen – und hat damit kostenlos eine dritte Farbe, die Papierfarbe. Also ein Schildchen. Und zwar ein breites Schildchen, um Trennungen zu vermeiden. Das Schildchen hat sich dann am wohlsten gefühlt, wenn es weit oben stand und die Abstände nach rechts, links und oben die gleichen waren. Linksbündige Schrift wirkt selbstverständlicher. Alles Entscheidungen, die sich fast von selbst fällten. Wir haben das dann präsentiert, zusammen mit den neuen, frischen Farben, die meine Frau ausgesucht hat – und das war’s.

Was leistet die von Ihnen verwendete Schrift, die "Documenta" des Niederländers Frank Blokland?
Die Stempel-Garamond, die schon seit Alfred Finsterer verwendet wurde, ist durchaus eine bewährte Schrift. Ich finde sie aber etwas heikel: Sie hat keine sehr gute Zeilenbildung, sie ist eher etwas spitz, hat aber den Vorteil, als sehr neutral wahrgenommen zu werden. Ich war dann auf der Suche nach einer Schrift, die dieses Selbstverständliche hat – die jedoch unserer Zeit entstammt. Die Stempel-Garamond ist Anfang des letzten Jahrhunderts der Garamond aus dem 16. Jahrhundert nachempfunden worden – nimmt man davon noch die digitale Variante, hat man schon sehr viel Historizität. Die "Documenta" hat sowohl eine große Neutralität – sie ist nicht zu spitz in den kleinen Graden – und weist eine phantastische Zeilenbildung auf. Das heißt, sie gibt auch löchrigen Zeilen, die in diesem Format unvermeidlich sind, ein ganz klares, horizontales Bild. Ein paar Prozent weniger Text ist inzwischen auch auf den Seiten, der Textmengenunterschied ist aber geringer, als es scheint. 

Was hat sich für Sie befriedigender angefühlt – einen Riesenklotz wie "Zettel’s Traum" nach 20 Jahren gesetzt zu haben – oder Deutschlands älteste Taschenbuchreihe womöglich für die nächsten 20 Jahre fit gemacht zu haben?
Beides ist auf seine Weise extrem befriedigend: Sowohl die Erstbesteigung eines typografischen Achttausenders, wie es "Zettel’s Traum" war - als auch die phantastische Breitenwirkung durch die UB, die dann die Schulklassen, Hörsäle und – hoffentlich! – auch die Privatbibliotheken überfluten wird (lacht). Wobei man bescheiden bleiben sollte: Die relevante Leistung bei den Reclam-Heften ist erstens der Text des Autors, dann die Leistung der Editoren. Dann kommt lange nichts, dann Wall und Graben, dann wieder lange nichts. Und dann der Buchgestalter. Der in solchen Fällen eine ganz komische Mischung aus Größenwahn und Bescheidenheit verspürt.

Fragen: Nils Kahlenfendt

Friedrich Forssman, geboren 1965 in Nürnberg, studierte Grafik-Design bei Hans Peter Willberg an der FH Mainz. Seit 1990 gestaltet er sämtliche Bücher und Drucksachen der Arno-Schmidt-Stiftung; daneben arbeitet er als freier Buchgestalter und Typograf für zahlreiche Verlage und ist Ausstellungsgestalter. Größte Wirkung erzielte Forssman als Mitautor von drei Grundlagenwerken der Typografie (Lesetypografie, Erste Hilfe in Typografie, Detailtypografie, alle Verlag H. Schmidt, Mainz). Friedrich Forssman ist mit der Textilgestalterin Cornelia Feyll verheiratet, die das Farbkonzept der neu gestalteten UB verantwortet und mit der er zahlreiche weitere Reihen für den Reclam Verlag gestaltet.

 

Nikolaj Gogols "Mantel" in neuem Zuschnitt.
Und auch die "Verwandlung" ist gelungen.