Verbraucherzentralen

"Unsere Beratungen sind ihr Geld wert"

23. Februar 2012
von Börsenblatt
Für Ratgeberverlage dreht sich die Welt – aber auch die Verbraucherzentralen müssen umdenken. Ein Gespräch mit Jutta Gelbrich vom Vorstand der Verbraucherzentrale Hessen: über komplexe Fragen und schnelle Antworten, Arglosigkeit, gedruckte Ratgeber. Und Geld.
Die erste Quelle für einen guten Rat ist bei vielen heute das Internet. Merken Sie davon etwas?
Gelbrich: Natürlich. Die Zugriffszahlen auf unsere Website nehmen deutlich zu.  

Verändert sich dadurch auch das Ratgeben?
Gelbrich: Der Bedarf an Rat ist sicher nicht geringer geworden, nur die Medien, die man nutzt, um Antworten auf seine Fragen zu bekommen, sind heute andere: Printmedien verlieren, Digitales hat Zulauf. Zugleich werden die Themen zusehends komplexer. Für jeden Aspekt ihres Lebens brauchen die Leute heute so viele Informationen, dass sie ohne Führung oft kaum klarkommen können. Die Folge für uns: Beratungen dauern heute zum Teil deutlich länger als das früher der Fall war.

Welche Fragen hören Sie am häufigsten?
Gelbrich: Unser Hauptthema ist das Verbraucherrecht. Da geht es zum Beispiel um Fragen, wie man auf unerlaubte Telefonwerbung, Abo-Fallen und Internet-Abzocke reagieren kann. Wichtig sind aber auch die Bereiche Finanzdienstleistungen und Urheberrecht.

Urheberrecht?  
Gelbrich: Ja, das Thema gewinnt sogar an Bedeutung. Es gibt Abmahnfirmen, die sich darauf regelrecht spezialisiert haben – sie benutzen das Urheberrecht gern als Mittel, um unberechtigt Geld zu verlangen. 50, 80, auch mal 100 Euro.

Wer kommt zu Ihnen?
Gelbrich: Das geht querbeet, quer durch alle Bevölkerungsgruppen. Zu uns kommen aber nicht unbedingt die bildungsfernen Leute: Die Verbraucher, die Hilfe am nötigsten hätten, bleiben oft auch hilflos – weil sie entweder die Möglichkeit, mit unserer Unterstützung zu Ihrem Recht zu kommen, zu wenig kennen, oder es nicht gewohnt sind, sich Hilfe zur Selbsthilfe zu holen. Hier versuchen wir mit Angeboten zum Beispiel in Schulen, Berufsbildungswerken und Familienbegegnungsstätten Verbraucherbildung zu betreiben.

Sind Menschen zu arglos – müssten sie wacher, kritischer sein?
Gelbrich: Manchmal finde ich es schon erschreckend, wie leichtgläubig die jungen Leute sind, und wie unkritisch sie sich in sozialen Netzwerken bewegen. Aber auch sie werden ja älter und erfahrener. Bedauerlich ist nur, wenn Jugendsünden nicht mehr zu korrigieren sind.

Zum Netzwerk der Verbraucherzentralen gehört auch ein Ratgeberverlag, der den Verbraucherzentralen zusätzliche Einnahmen sichert. Ist das Geschäft noch einträglich?   
Gelbrich: Auch wenn unsere Einnahmen durch Beratungsentgelte eher gleich bleiben, sinkt die Summe der Eigeneinnahmen – an diesem Rückgang hat der Ratgeberverkauf einen hohen Anteil.

Inwiefern?
Gelbrich: Große, dicke Ratgeber sind kaum noch gefragt – es sei denn, es handelt sich um ein sehr spezielles Thema wie Nachbarschaftsrecht oder Altersvorsorge. Mit diesen Themen beschäftigt man sich nicht ad hoc, sondern langfristig und in Ruhe, und legt Wert auf eine autorisierte Quelle.

Wie reagieren Sie darauf?
Gelbrich: Indem wir unser Wissen kürzer und knapper vermitteln. Man muss heute einerseits schneller zum Punkt kommen, andererseits aber auch immer Informationen anbieten, um Themen zu vertiefen. Wir haben deshalb vor ein paar Jahren Ratgeber im Pocketformat entwickelt, die nach wie vor vergleichsweise gut laufen. Ansonsten informieren wir auf unserer Website und machen jetzt auch E-Books.

Wie steht es mit der Zahlungsbereitschaft? Beobachten Sie Preisgrenzen?
Gelbrich: Alle Ratgeber, die weniger als zehn Euro kosten, verkaufen sich etwas leichter – darüber hinaus wird es schwierig und hängt sehr vom Thema ab.

Wie viel kostet ein guter Rat, den Verbraucherzentralen persönlich geben?
Gelbrich: Das ist unterschiedlich. Da wir uns hauptsächlich durch öffentliche Mittel finanzieren, hängt die Eigenbeteiligung der Ratsuchenden vom Grad der Finanzierung ab. Die Schuldnerberatung kostet gar nichts und bei der Energieeinsparberatung, die vom Bundesministerium für Wirtschaft gefördert wird, zahlen Ratsuchende nur fünf Euro für das halbstündige Gespräch, das immerhin auch Planung und Prüfung energetischer Investitionen beinhalten kann. Was unsere Hauptthemen angeht: Für eine rechtliche Beratung sind 20 Euro pro angefangene Viertelstunde üblich, geht es um Finanzdienstleistungen sind wir mittlerweile bei 25 Euro pro Viertelstunde.

Murren Ihre Klienten manchmal, wenn Sie ihnen die Preisstaffel vorlegen?  
Gelbrich: Damit haben wir kaum noch Probleme, auch wenn Ältere oft auf die kostenlose Beratung aus früheren Zeiten verweisen. Unsere Beratungen sind ihr Geld wert - und um so zielgenau und sicher Hilfe leisten zu können, ist viel Ausbildung, Fortbildung, Anleitung und Erfahrung notwendig. Außerdem kann bei entsprechender Bedürftigkeit auch mal vom Preis abgewichen werden – diese Spielräume haben die Kolleginnen und Kollegen.

Wie funktioniert die Rückkopplung mit der Politik?
Gelbrich: Wir haben das Ohr direkt am Markt und üben eine Art Marktwächterfunktion aus. Unsere verbraucherpolitischen Forderungen werden über unseren Bundesverband in Berlin an die Politik herangetragen.

Finden die Argumente der Verbraucherzentrale da Gehör?   
Gelbrich: Auf jeden Fall. Verbraucherzentralen werden ja häufig nur unter dem Beratungsaspekt gesehen – dabei ist unsere eigentliche Aufgabe ja eine andere: Wir sind eine Interessenvertretung, machen Lobbyarbeit für Verbraucher. Weil wir durch unsere Beratungen immer das Ohr direkt am Markt haben, sind wir die ersten, die merken, wenn irgendwas am Markt schief läuft. Diese Signale geben wir dann an die Politik weiter, um gesetzliche Anpassungen zu erreichen. Zum Teil klagen wir aber auch, um Grundsatzurteile zu erreichen. Unsere Arbeit nutzt übrigens nicht nur Konsumenten, sondern dem ganzen Markt: Wenn wir unseriöses Geschäftsgebaren anprangern, dann ist das auch ein Schutz für seriöse Anbieter.

Regelt sich das nicht von selbst – nach dem Motto, die Nachfrage bestimmt den Markt?
Gelbrich: Das hat schon der „Vater“ der sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhardt bezweifelt und die Gründung von Verbraucherzentralen unterstützt. Deren Aufgabe sollte es schon damals sein, die Konsumentenseite durch ihre Aufklärungs- und vor allem Lobbyarbeit zu stärken.

Interview: Tamara Weise

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