Die Sonntagsfrage

Wie erleben Sie die Berlinale, Monsieur Sansal?

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Heute geht die Berlinale 2012 zu Ende. Wie gestaltete sich die Arbeit in der Internationalen Jury? Und was nehmen Sie für Ihre schriftstellerische Arbeit mit? Fragen an den Friedenspreistäger Boualem Sansal.

Die Berlinale ist ein perfekt funktionierendes Uhrwerk. Das Team, das sich um die Jury kümmert, arbeitet einfach unglaublich professionell. Man fühlt sich sicher und wunderbar aufgehoben. Wir Jurymitglieder haben somit eine sehr angenehme Zeit, wir sichten zwei bis drei Filme am Tag, diskutieren miteinander, nehmen an Besprechungsrunden teil und lesen die Kritiken in den Zeitungen. Mike Leigh ist ein toller Jurypräsident, er versteht es, eine Besprechung zu leiten und mit seinem Expertenblick die unterschiedlichen Aspekte eines Films zu untersuchen und zu diskutieren. Alle Jurymitglieder sind Filmschaffende, es ist eine enorme Freude, ihnen zuzuhören, ich lerne so viel dadurch. Mein Beitrag ist der etwas andere Blick auf die Dinge, der Blick des Schriftstellers und ich habe das Gefühl, dass sie das interessant finden, zumindest hoffe ich das.

Das intensivste Erlebnis war bislang ohne Zweifel die offizielle Eröffnungsgala der Berlinale. Der Abend war wirklich sehr besonders und außergewöhnlich. Selbst für die anderen Jurymitglieder, die auf diesem Gebiet absolut erfahren sind (Mike Leigh, Jake Gyllenhaal, Charlotte Gainsbourg, Barbara Sukowa, Anton Corbijn, Asghar Farhadi und François Ozon), haben dies so erlebt. Für mich, der überhaupt keine Erfahrung hat, was diese Art Veranstaltungen betrifft, war das ein sehr emotionaler Moment. Ich denke, dass die Abschlussveranstaltung ebenso eindrucksvoll wird, bestimmt wird es noch überwältigender. Allein der Gedanke daran macht mich nervös.

Die Berlinale-Erfahrung ist für mich einzigartig und wird unvergesslich bleiben. Nach der gemeinsamen Woche, die man als Jury verlebt und damit verbringt, Filme zu diskutieren aber auch über alles Mögliche zu sprechen, über alltägliche Dinge genauso wie über Politik, entstehen sehr enge Kontakte zu den einzelnen Mitgliedern. Das geschieht nicht nur im Rahmen der gemeinsamen Jurytätigkeit, denn man lernt auch die Partner kennen, die mitgereist sind oder die Kinder, die zu Besuch nach Berlin kommen.

Die Zeit war auch für mich als Schriftsteller sehr lehrreich. Durch die Diskussionen mit den Filmprofis ist mir bewusst geworden, dass Wörter einen Sinn haben (der tief in ihnen verankert ist), eine Geschichte aber eben auch ein Gesicht, ein Bild, eine Farbe. Ich werde das in meiner schriftstellerischen Arbeit berücksichtigen. Ich weiß noch nicht genau wie, aber ich werde darüber nachdenken.

Übersetzung: Kristina Kramer

Hintergrund
Aus acht Mitgliedern bestand die Internationale Jury der Berlinale 2012, die über die Vergabe der Auszeichnungen der Internationalen Filmfestspiele Berlin entschieden hat. Unter dem Vorsitz des britischen Regisseurs Mike Leigh waren dies der niederländische Fotograf und Filmemacher Anton Corbijn, der iranische Regisseur und Drehbuchautor Asghar Farhadi (Gewinner des Goldenen Bären 2011), die französisch-britische Schauspielerin Charlotte Gainsbourg, der US-amerikanische Schauspieler Jake Gyllenhaal, der französische Regisseur und Drehbuchautor François Ozon, die deutsche Schauspielerin Barbara Sukowa sowie der aktuelle Friedenspreisträger, der algerische Schriftsteller Boualem Sansal.

Eine Liste aller Preisträger finden Sie im Anhang.