Eine Analyse der Bürowelt

"Früher mussten wir nicht so viel lügen"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Kulturmanager Christoph Bartmann hat eine fulminante Kritik des modernen Büros verfasst, mit dessen Anforderungen er selbst jedoch ziemlich gut zurechtkommt. Ein Interview.

"Ich gehe nicht ungern ins Büro", sagen Sie. Im größten Teil Ihres Buches geht es aber um "Pathologien des Gegenwartsbüros". Wie passt das zusammen?
Ich habe einen wunderbaren Job bei einem großzügigen Arbeitgeber in einer tollen Stadt. Ich leide nicht. Das Büro leidet. Um seine Erkrankung geht es mir, der Ansteckung durch das Regime der Manager, die Change-Hysterie, den Performance-Zwang. Dass es mir im Büro gut geht, ist mein Sieg über das Büro.

Eine Ihrer Diagnosen: "Wir sind keine Leistungsgesellschaft, sondern eine Performancegesellschaft." Wir sind alle Schauspieler – die einen bessere, die anderen schlechtere?
Schauspieler vielleicht nicht, denn dazu gehört das Rollenbewusstsein. Das hat der moderne Angestellte nicht mehr, weil er mit seiner Rolle eins ist. Er ist eher Performer. Aber davon abgesehen: Leistung ohne Leistungsdarstellung interessiert niemanden. Der zurückgezogene, stille, fleißige Mensch wird nicht mehr wahrgenommen. Er muss performen. Und er muss gute Storys erzählen über sich und seine Ziele, also zum Storyteller werden.

Im alten Büro ging es ehrlicher zu?
Ja, natürlich. Es war auch autoritärer, vielleicht manchmal unerträglich, aber es herrschte nicht solch ein großer Schwindel wie heute. In einem Angestelltenbuch gibt es den schönen Satz: "Früher mussten wir nicht so viel lügen."  Man durfte die Arbeit einfach ungenierter hassen.

Sie selbst sind Regionalbeauftragter des Goethe-Instituts für die USA, Kanada, Mexiko und Kuba, agieren also weit oben innerhalb der Goethe-Hierarchie. Worauf es ankommt in der "schönen neuen Welt der Angestellten" müssen Sie gut gelernt haben.
Sicher. Das Buch ist auch nicht Ausdruck meiner Frustration, eher vielleicht einer Unzufriedenheit und eines Überschusses von Kritik. Ich muss  natürlich wie ein Büroteilnehmer agieren. Ich kann mich von keiner dieser Regeln und Prozesse verabschieden. Insofern bin ich zum Konformismus gezwungen. Ich würde sonst abgeschaltet. Ich wollte das Regime, unter dem wir stehen, besser verstehen. Ich habe keine Antwort darauf, was man dagegen tun kann.

Jeder ist also gut beraten, Geschmeidigkeit zu lernen, sich anzupassen?
Na ja, man kann freiberuflich arbeiten, aber das Büro schleppt man trotzdem auf dem Rücken mit. Man trifft keine Zielvereinbarungen mehr, aber die Leistungsdarstellung ist wahrscheinlich genauso wichtig.

Haben Sie das Buch eigentlich vor der Veröffentlichung Ihren Chefs vorgelegt?
Nein. Ich warte immer noch auf das Strafgericht. Bis jetzt habe ich von meinen Kollegen nur Lob bekommen. Meinen Vorgesetzten schicke ich jetzt ein Exemplar.

Interview: Holger Heimann

 

Christoph Bartmanns "Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten" ist gerade bei Hanser erschienen.