E-Book

Der blinde Fleck der Prognostiker

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Prognosen zum E-Book-Markt sind Legion – meist geht es darum, wann das gedruckte Buch abgelöst wird. Korrigiert werden diese einseitigen "Unprognosen" jedoch durch Marktstudien, die ein differenzierteres Bild zeichnen. Ein Kommentar von Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen.

Drei Wissenschaftler – unter ihnen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer – haben die Aktion "Unstatistik des Monats" ausgerufen. Ihr Ziel: statistische Manipulationen aufdecken. Noch effektiver als die Tricks der Datenauswerter sind allerdings die der Prognostiker – zum Beispiel im E-Book-Markt. Das fängt meist schon mit einer Eingrenzung des Gesichtsfelds an. Man fokussiert die Frage der künftigen Entwicklung des Buchmarkts auf einen Aspekt – etwa den Zeitpunkt, an dem E-Books das gedruckte Buch "ablösen". Alles Unvorhersehbare, Störende, dem eigenen Interesse Zuwiderlaufende wird dabei gern ausgeblendet. Die "Unprognosen", die auf diese Weise Massenmedien, Konferenzen und auch Branchenblätter füllen, sind Legion. Korrigiert werden sie meist durch Marktstudien, die einen anderen Befund erheben: So stellte eine aktuelle US-Studie fest, dass der Anteil der Buchkäufer, die E-Books ablehnen, wächst. Und zwar in dem Maße, in dem die Verbreitung von E-Books und E-Readern zunimmt.

Auch wenn dieses Ergebnis ebenfalls kritisch hinterfragt werden kann, signalisiert es doch eines: Der Übergang von Büchern zu E-Books folgt nicht dem gleichen Muster wie andere Medienwechsel. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Nutzer von den Vorzügen der neuen Technologie nicht so überzeugt sind, wie es die Prognostiker glauben machen wollen. Im Gegenteil: Es scheint eine große, nicht nur ältere Zielgruppe im Buchmarkt zu geben, die nach wie vor das gedruckte Buch dem E-Book vorzieht. Das E-Book ist für sie – vom Inhalt abgesehen – ein "Unbuch": Es ist flächig, zeigt nur Seiten an, hat zwar Cover und Layout, aber keine sichtbare Gestalt und emotionale Anmutung. Eine andere Zielgruppe wird die Chancen des digitalen Mediums nutzen – etwa beim Social Reading. Und einiges spricht dafür, dass beide Medien künftig im Wechsel genutzt werden – je nach Kontext. Ein unklares Szenario, das Prognostiker kaum zufriedenstellt.