Kunstbücher für Kinder

"Es darf anspruchsvoll sein"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Wie begeistert man Kinder für die Kunst – und für das Kunstbuch? Die Münchner Verlegerin Mona Horncastle über Vermittlungsarbeit, die junge Leser ernst nimmt.

Sie haben einen eigenen Verlag, der Kunstbücher für Kinder herausbringt – schreiben aber seit Herbst Kunst-Comics für Prestel. Warum publizieren Sie die Comics nicht im eigenen Programm?Horncastle: Ich habe meinen Verlag in den vergangenen zwei Jahren etwas umgebaut und konzentrierte mich jetzt ganz auf Produktionen, die ich gemeinsam mit Kooperationspartnern verwirkliche – beispielsweise mit Schulen oder Museen, aber auch mit Theatern und Orchestern. Das Segment, das ich damit bediene, ist also ein sehr spezielles. Nur: Die Ideen gehen mir trotzdem nicht aus. Deshalb arbeite ich auch als Autorin für andere. Das Konzept für die Kunstcomics habe ich vor zwei Jahren entwickelt und Prestel vorgestellt. Der Verlag war sofort begeistert. Zwei Titel zu Dürer und van Gogh sind im Herbst erschienen, im Frühling folgen Bände zu Klimt und Monet.

Finden die Kinder durch die Comicform einen anderen Zugang zur Kunst?

Horncastle: Unbedingt. Graphic Novels sind ja im gesamten Bildungssegment auf dem Vormarsch, bis hinein in die Belletristik für Erwachsene. Das schöne an den Bildergeschichten ist, dass ein Bild 10 Seiten Text ersetzen kann. Nehmen Sie das Beispiel Dürer: Wenn man seine Werkstatt in Comicform beschreibt, muss man sehr achtsam sein mit den Details – bis hin zu der Frage, wie die Fensterscheiben damals aussahen und wie der Maler seine Farben aufbewahrt hat. Diese Informationen nehmen die Kinder beim Betrachten ganz intuitiv auf – eine seitenlange Beschreibung einer mittelalterlichen Künstlerwerkstatt würden sie sicher nie lesen.

Ihr eigenes Verlagsprogramm entwickeln Sie zum Teil gemeinsam mit Schülern. Wie groß ist die Begeisterungsfähigkeit der Klassen für die Kunst?

Horncastle: Kinder geben ja sofort ein Feedback: Es ist der blanke Horror, zwei bis drei Stunden mit Schülern zu verbringen, die sich offenkundig langweilen. Ich versuche, die Kinder über die Persönlichkeit der Künstler zu kriegen, über die Zeitumstände, in denen die Maler gelebt haben. Künstler waren ja immer auch Seismographen ihrer Epoche, haben gesellschaftliche und soziale Strömungen in ihrer Kunst aufgegriffen. Kinder, aber auch Erwachsene fangen Feuer, wenn sie das Gefühl haben, sich nicht gezwungermaßen mit einem Bildungsthema zu befassen, sondern mit einer schillernden, spannenden, manchmal auch tragischen Figur.

Was war für Sie das spannendste Kunstprojekt der jüngeren Zeit?

Horncastle: Im Februar erscheint ein Titel, der aus einem Bildungsprojekt am Frankfurter Städel entstanden ist. Eine Gruppe hochbegabter Schüler zwischen 14 und 16 hat die Arbeit am Erweiterungsbau des Städel begleitet und daraus zusammen mit mir, der Stiftung Zuhören und dem Hessischen Rundfunk ein Buch plus CD produziert – gewissermaßen ein Architekturmuseumsbuch. Die Kinder kümmern sich sogar selbst um den Büchertisch bei der Eröffnung der Städel-Erweiterung und geben eine Pressekonferenz, um ihren Titel vorzustellen.

Das klingt anspruchsvoll. Wie anstrengend darf Kunstvermittlung sein?

Horncastle: Man sollte Kinder weder unterfordern noch unterschätzen. Es darf anspruchsvoll sein. Und Kinder müssen auch nicht auf Anhieb alles verstehen – erst aus offenen Fragen ergibt sich ja die Motivation, sich weiter mit einem Thema zu beschäftigen. Mit der 8. Klasse einer Gesamtschule in München haben wir zum Beispiel ein Mondrian-Projekt gemacht. Mondrian zu verstehen ist nicht leicht. Aber die Kinder haben einen Zugang gefunden, als sie erfahren haben, dass er sich viel mit der Musik seiner Zeit befasst und zum Beispiel ein großartiger Boogie-Woogie-Tänzer war.

Gibt es eine Altersstufe, in der Kinder besonders offen für die Kunst sind?

Horncastle: Nein, vom Kindergarten bis zur Pubertät ist das Zeitfenster immer offen. Man muss ein Thema auch nicht unbedingt auf die Lebenswelt der Kinder herunterbrechen. Ich halte nicht viel von Verniedlichung. Wichtiger ist, die Kinder an die Hand zu nehmen und zu führen.

Sie gehen auch an Hauptschulen. Kommen manche Kinder dort zum ersten Mal mit Kunst, mit einem Museum in Kontakt?

Horncastle: Ja und das sorgt für sehr berührende Momente, weil Kunst bei uns als elitär gilt und auch so gesehen wird, anders als etwa in England oder Frankreich. Viele Kinder sind allein aufgrund ihrer Lebensbedingungen vom Kulturleben ausgeschlossen und empfinden das auch so. Aber in jeder Klasse, auch bei den Hauptschülern, gibt es immer drei bis vier, die sich stärker für das Thema begeistern lassen. Sie gehen mit ins Museum, lernen bei der CD-Produktion Berufe wie Tontechniker oder Aufnahmeleiter kennen – das eröffnet auch ganz neue Horizonte für spätere Berufsfelder. Wir vereinbaren mit unseren Kooperationspartnern, dass die Kinder bei Praktikumsplätzen bevorzugt werden und haben schon einige vermitteln können.

Wenn Sie die Kunstbuchproduktion auf dem Markt bewerten müssten – sind Sie dann mit der Qualität zufrieden?

Horncastle: Über die Arbeit von Kollegen möchte ich mir ungern ein Urteil anmaßen. Gut gemachte Bücher über Kunst, die das Thema und den Leser ernst nehmen, kann es jedenfalls nicht genug geben. Sie werden im übrigen auch von Erwachsenen geschätzt, weil sie kein Grundwissen voraussetzen – trotz komplexer Inhalte. Man muss kein Kunsthistoriker sein, sich nicht durch 2000 Katalogseiten quälen. Die Leichtigkeit der Vermittlung ist ausschlaggebend.

Mehr zum Thema Kunst für Kinder im aktuellen Börsenblatt-Spezial "Kinder- und Jugendbuch", das am 14. Februar erschienen ist.