Gastspiel

Das Pendel schlägt zurück

2. Februar 2012
von Börsenblatt

Mit dem Rückbau bei den marktführenden Filialisten wächst die Chancengleichheit. Der Wettbewerb um Qualität nimmt wieder zu. Von Arnd Roszinsky-Terjung.

Gelegentlich kann man sich nur verwundert die Augen reiben, solche Kapriolen schlagen die Großflächenbuchhandlungen derzeit. Die Rangliste der bemerkenswerten Aussagen, Meldungen und Handlungen wird eindeutig von Thalia beherrscht. Jüngste Nachricht: Die Filiale am Kölner Neumarkt, das ehemalige Gonski-Flaggschiff, wird 2013 geschlossen. Thalia überlässt das Feld jetzt komplett der Mayerschen Buchhandlung.

Damit wird nach offizieller Lesart die Restrukturierung offensichtlich, von der bei Thalia im Kontext mit den jüngsten Bilanzzahlen die Rede war. Aber eigentlich ist das Köln-Desaster nur das überfällige Eingeständnis einer verlorenen Schlacht, die – das macht die Sache pikant – Thalia erlebte, nachdem die Mayersche ihr mit den gleichen Mitteln den Rang streitig machte, mit denen die Großen bis dato ihre Expansion betrieben haben: den etablierten Wettbewerbern schiere Größe und optimierte Grundrisse vor die Nase zu setzen. Zusammen mit der Demontage von Kompetenz, die Gonski- / Thalia-Mitarbeiter nun als wesentliche Ursache benennen, war der Abstieg besiegelt.

Parallel zum Teilrückzug aus dem stationären Geschäft mit Büchern kommt aus Hagen die Devise, Non-Books in die Läden zu verfrachten. Bemerkenswert ist auch dabei das Tempo. So rasant, wie einst die Expansion betrieben wurde, so schwungvoll wachsen jetzt in den Thalia-Läden Displays und Warenträger mit buntem Allerlei aus dem Boden. Aber ist das wirklich die einzig mögliche Konsequenz? Und: Welche Nebenwirkungen gehen damit einher, dass der Marktführer öffentlich den Rückzug aus der Großfläche verkündet? E-Commerce müssen alle im stationären Handel verkraften. Das gelingt durchaus einigen, Thalia in Österreich zum Beispiel (Umsatzplus im Geschäftsjahr 2010 / 2011: 5,6 Prozent). Wäre das nicht eine Einladung, die Entwicklung differenzierter zu sehen?

Die großen Flächen in prominenten Innenstadtlagen haben viele Jahre als Signal für eine moderne Handelsbranche gestanden – was dem Buchhandel insgesamt gut getan hat. Denn die akquisitorische und stilbildende Leistung, vor allem bei der Gewinnung von Neulesern und Neukunden, darf nicht unterschlagen werden. Dieser Effekt steht jetzt auf der Kippe, nachdem die großen drei die Flucht ins beliebige Non-Book antreten – unter anderem dadurch beflügelt, dass sie Non-Books für nicht beratungsbedürftig einschätzen – statt mit einem glanzvoll aufpolierten Buchsortiment um die Kunden zu buhlen. Wer Marktführer ist, steht immer auch in einer besonderen Verantwortung als Vorbild und Leuchtturm. Diese Aufgabe wird offenbar zurzeit gleich mit entsorgt.

Faktisch wird damit das Konzept der (überdimensionalen) Großfläche abgesagt: Eine Buchhandlung, die 30 oder 40 Prozent Non-Books darbietet, wirkt visuell kaum noch als solche. Eine Buchhandlung als "Monokultur" wäre dagegen mit 1 .200 Quadratmetern immer noch groß – und höchstwahrscheinlich auch wirtschaftlich im richtigen Format. Erst die Sprünge von 1.200 auf 3.000 oder gar 4.000 Quadratmeter, mit denen sich die großen drei in den vergangenen Jahren gegenseitig ausgestochen haben, führten zu dem Strukturproblem, das heute die Zahlen verhagelt.

Heißt das im Umkehrschluss, dass nun die kleineren Läden eine Renaissance erleben? Wohl eher nicht, denn "klein" ist nicht automatisch gut und »groß« nicht automatisch schlecht. Es bedeutet nur, dass das Pendel wieder zurückschwingt: vom Wettlauf um Quantität (Fläche) zum Wettbewerb um Qualität. Ein Stück Chancengleichheit kehrt zurück.

Lesen Sie zur Thalia-Schließung auch das Leserforum und den Beitrag "Die Standardlösung hat in Köln nicht gereicht" im aktuellen Börsenblatt, Heft 5 (Seiten 14/15 und 18).