Mainzer Kolloquium zur Zukunft des Ratgeberverlegens

Schwerstarbeit, auf Jahre

30. Januar 2012
von Börsenblatt
Wie kriegen Ratgeberverlage angesichts sinkender Druckauflagen in den nächsten Jahren die Kurve? Auch für die Wissenschaft ist das Thema von Bedeutung: "Besser leben. Der Ratgeber - Ein Buchmarktsegment im Umbruch“ hieß die Überschrift beim Mainzer Kolloquium am vergangenen Freitag.

Das Fazit gleich vorweg: Wenn Ratgeberverlage nach neuen Nischen fahnden, an ihren Stärken arbeiten und die Verwertungskette für ihre Inhalte ausdehnen, dann gibt es keinen Grund, noch weiter an ihrer Überlebensfähigkeit zu zweifeln. Doch der Reihe nach.

Ratgeber sind keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Bücher, die erklärten, was warum und vor allem wie es im Leben besser läuft, gehörten zum ersten, was nach Erfindung der Druckerpresse in Umlauf kam – und sie haben bisher alle Auf und Abs der Geschichte gut überstanden.

Mit dem Internet, dem Run auf digitale Medien und dem Flächenrückgang im Sortiment steht ihnen nun eine neue Zäsur ins Haus: eine, über die momentan niemand mit Sicherheit sagen kann, wie sie sich auf die Verlage auswirken wird.  

 

Eichborn irrt sich

Stephan Füssel, Leiter des Mainzer Instituts für Buchwissenschaft, warf zu Beginn des Mainzer Kolloquiums deshalb zunächst einen Blick zurück. Er erinnerte die rund 250 Teilnehmer an eine denkwürdige Schrift aus dem Jahr 1999: In seinem Börsenprospekt ließ der Eichborn Verlag unter dem Punkt Zukunftschancen seine potenziellen Anteilseigner damals wissen, dass sich der Ratgeberbereich künftig kostenpflichtig ins Netz verlagere – da seien für Eichborn erhebliche Umsätze möglich. „Narreteien“ seien das gewesen, meinte Füssel. „Auf die Frage, wie man mit Ratgebern im Internet Gewinne erzielen kann, gibt es bis heute keine Antwort.“

Ratgeber weisen die Richtung

Die Begründung dafür lieferte David Oels, seit 2011 Juniorprofessor am Institut: „Dem Internet ist vieles leichter und kostengünstiger zu entnehmen als dem Buch“, konstatierte er – ohne seine Zuhörer damit aber auf einen Abgesang auf die gesamte Ratgeberkultur einstimmen zu wollen. Denn der Bedarf an Orientierung steige, so Oels. „Und mit den digitalen Medien ergeben sich völlig neue Möglichkeiten.“ Ratgeber stünden zwar „unter einem besonderen Selektionsdruck“, die Antworten, die Verlage darauf fänden, könnten jedoch richtungsweisend sein – sogar für die gesamte Buchbranche.

 

Dinosaurier oder Birkenspanner?

Ob das so kommt, und Oels recht behält, bleibt allerdings offen. Selbst Nadja Kneissler wollte dazu in Mainz keine eindeutige Prognose abgeben.

Kneissler ist Verlagsleiterin von Delius Klasing, Sprecherin des Arbeitskreises Ratgeberverlage – und promovierte Biologin. „Gelingt der nächste Schritt in der Evolution?“, fragte sie ins Publikum.
„Geht es Ratgeberverlagen wie den Dinosauriern, oder gelingt es uns so wie dem Birkenspanner, uns an die veränderten Lebensbedingungen anzupassen?“
 
Ratgeberverlage, die einem Schmetterling ähneln, der mit allem klar kommt, was ihm die Umwelt abverlangt: Das ist gar kein so unpassender Vergleich. „Wir müssen die notwendigen Mutationen zulassen, experimentieren, neue Nischen finden“, betonte Kneissler, und machte hernach an einer Handvoll Thesen klar, was das bedeutet: Schwerstarbeit – auf Jahre. Ihre Thesen im Schnelldurchlauf:

  • Die klassischen Tugenden stärken - dank besserer Haptik (z. B. durch hochwertigeres Papier) und  Optik (z. B. durch Papierveredelung). Zudem sollten Verlag am Praxisnutzen ihrer Bücher arbeiten, die Qualität erhöhen (z. B. in Sachen Typografie und Inhalt) und, bei kleinen Auflagen, auf das  Schnelldruckverfahren Print on Demand.
  • Enriched Print wird kommen – in unterschiedlichsten Formen (z.B.: mediale Verknüpfung per QR-Code , DVD oder Tiptoi; Aktualisierungen; Zusatzangebote im Download; Telefonservice).
  • Online-Produkte werden starke Zuwächse zeigen – E-Books und Apps seien darauf eine denkbare Antwort auf die anstehenden Marktverschiebungen. (Kneissler: „Auf diese Form der Rezeption müssen wir uns einstellen – und tun das auch.“)
  • Markenführung spielt eine zunehmende Rolle  – weil Autoren komplexe Marketingleistungen forderten und die Vertriebswege sich immer weiter ausdehnen.
  • Ratgeberverlage müssen lernen …  – die neuen Kundenbeziehungen anzunehmen, sekundenschnell zu reagieren und soziale Medien in ihre Prozesse einzubinden.
  • Die gesamte Struktur der Ratgeberverlage muss sich verändern –  was meint, dass alle Abteilungen von Anfang an bei einem Projekt an einem Tisch sitzen und gemeinsam planen.   


Ausweitung der Verwertungszone

Nächstes Praxisthema in Mainz: neue Verwertungsformen für Ratgeberinhalte, wie sie etwa beim Campus Verlag bereits gang und gäbe sind. Ein Buch zu machen, sei längst nicht mehr alles, erklärte Juliane Wagner, Programmleiterin der Campus-Ratgebersparte. „Die Vermischung mit anderen Medien nimmt zu.“

Mag sein, dass Wagner damit keinen neuen Gedanken formulierte. Andererseits: So wie sie haben es bisher nur wenige auf den Punkt gebracht: Ratgeberverlage müssten sich weder verstecken - noch um ihr Überleben bangen, meinte sie. Internet und digitale Medien verkleinerten nicht den Markt (wie das landläufig angenommen wird), sondern fügten ihm eher neue Felder hinzu – Felder, auf denen für seriöse Ratgeberinhalte völlig neue Chancen entstünden.     

Wie sich das heute schon zeigt: Neben Bücher treten (und das nicht nur bei Campus) E-Books, Apps und Portale, aber auch Seminare und Spiele. Mehr denn je reizen Verlage alle Optionen aus, die sich bieten – wenn es das Thema zulässt. Wagners Fazit: „Die Verwertungskette wird länger, nur rückt das Buch hier an eine andere Stelle.“

Kochbücher auf der Mattscheibe

Tre Torri-Verleger Ralf Frenzel sieht die Sache etwas anders: Für ihn kommt zuerst das Buch, und dann lange lange nichts. Apps und E-Books zu machen, sei in der Regel unrentabel, meint er. „Ich sage Ihnen das aus Erfahrung.“

Seine Aufgabe in Mainz war ohnehin eine andere. Nämlich: zu klären - „Hilft das Buch dem TV oder umgekehrt?“ Was für Frenzel eigentlich keine Frage ist: In seinem Verlag erscheint das Kochbuch zum Quotenhit „Bauer sucht Frau“, es gibt Rezepte von Alfred Biolek und Eckart Witzigmann, oder auch aus der Sendung „ARD-Buffet“.

Manche dieser Titel erreichen Frenzel zufolge Millionenauflagen, andere bleiben liegen. Warum? „Entscheidend ist, dass die Konzepte authentisch – und Buch und Sendung eng miteinander verbunden sind.“ Dass hohe Einschaltquoten gleichbedeutend damit seien, dass sich das Buch stapelweise verkaufe, sei ein klarer Irrtum.   

Zu Frenzel noch eins: Nach seinem Vortrag wurde er aus dem Publikum mit der Frage konfrontiert, ob er in der wachsenden Zahl von Autoren, die sich auf eigene Faust per Selfpublishing auf den Markt wagten, eine Konkurrenz sehe. Seine Antwort darauf war knapp, und knallig: Ihn störe das kein bisschen. Je mehr unseriöse und ungeprüfte Bücher auf den Markt kämen, umso besser. „Dann fällt der Unterschied zu dem, was wir machen, einfach mehr auf.“  
 
Warum Ratgeber gekauft und gelesen werden

Ein Kolloquium wäre kein Kolloquium, wenn nicht auch die Wissenschaft zu Wort käme. In Mainz übernahmen diesen Part Timo Heimerdinger (Universität Innsbruck), Alfred Messerli (Universität Zürich), Christian Klein und Matias Martinez (beide: Universität Wuppertal). Ihnen war die Aufgabe zugedacht, die besondere Warengruppe sowohl aus kulturwissenschaftlicher als auch aus literaturwissenschaftlicher Perspektive zu beleuchten. Was trockener klingt, als es tatsächlich war.

Heimerdinger etwa lieferte – am Beispiel des Bestsellers „Simplify your Life“ (Werner Tiki Küstenmacher) eine Antwort auf die Frage, aus welchem Grund Ratgeber überhaupt gelesen werden und inwiefern sie dem Leser nützen. Aus einer Umfrage unter Rezipienten entwickelte er folgende These: Ratgeber wirkten nicht normierend – wohl aber beruhigend. "Der größte Nutzen besteht für den Leser wahrscheinlich darin, Bestätigung für ihre eigenen Ansichten zu finden", so Heimerdinger. Dass Ratgeber nur deshalb gelesen würden, weil sie Rat geben, sei jedenfalls ein Missverständnis.

Gezielte Glaubwürdigkeit

Messerli indessen machte einen Ausflug in die Geschichte der Ratgeberliteratur – und die Wuppertaler Germanisten Klein und Martinez analysierten typische Erzählstrukturen in Lebenshilfe-Ratgeber. Beides lohnende Themen, vor allem mit Blick auf die Frage nach der Glaubwürdigkeit.

Wer einen Rat gibt, muss sich legitimieren können. Allerdings, so zeigten es Klein und Martinez, endet das nicht mit dem Klappentext (und dem Hinweis auf den Expertenstatus), sondern fängt da lediglich erst an. Um ihren Status als kompetenter Freund zu untermauern, nutzen Autoren das Stilmittel des Dialogs, sie geben sich als allwissender Erzähler, suchen eine Sprache der Nähe, streuen Fallgeschichten und Wahrheitsbeteuerungen ein („ehrlich gesagt...“).

Der Witz an der Sache

Michael Schikowski, Dozent an der Uni Bonn und zugleich Keyaccounter beim Campus Verlag, schließlich erbrachte einen Beweis dafür, das Ratgeber erstens vielfach unterschätzt werden und zweitens einen großen Unterhaltungswert haben. Und manche Verlage längst dazu übergehen, dem Ratgeben den Ernst zu nehmen – ganz im Sinne des Zeitgeistes (sein Lieblingsbeispiel: Das Buch „Julekuler“ des schwedischen Designerpaares Arne Nerjordet und Carlos Zachrison, in dem sie zeigen, wie schön gestrickte Weihnachtskugeln sind; Frech Verlag).

Last not least zur Veranstaltung selbst: Das Mainzer Kolloquium ist ein Klassiker unter den buchwissenschaftlichen Kongressen. Das Treffen findet seit 1994 statt – immer am ersten Freitag im Januar. Wer die Vorträge nachlesen möchte, findet Sie in der von Michael Schikowski herausgegeben Zeitschrift „Non Fiktion“ (Ausgabe 2/2012 im Sommer).