Urheberrecht

"Brandgefährliche Debatte"

26. Januar 2012
von Börsenblatt
Das Urheberrecht als internationale Baustelle: Bei der WIPO, der Weltorganisation für geistiges Eigentum, wird derzeit über neue Schrankenregelungen für Bibliotheken und Archive diskutiert. Jessica Sänger, stellvertretende Justiziarin des Börsenvereins, über das Gefahrenpotenzial für Verlage.

Was birgt derzeit den größten Sprengstoff in der Urheberrechtsdebatte auf WIPO-Ebene?

Sänger: Brandgefährlich ist die aktuelle Diskussion über grenzüberschreitende Nutzungen. Dürfen Bibliotheken digitale Titel über Staatengrenzen hinweg verschicken? So etwas wird durchaus diskutiert. Aber: Wenn digitale Kopien, die von den Bibliotheken aufgrund nationaler Schrankenregelungen kostenfrei genutzt werden dürfen, weltweit verschickt werden könnten, würde das Urheberrecht aus den Fugen geraten.  Urheberrechtsschranken eines Mitgliedsstaates könnten auf diesem Weg gewissermaßen “exportiert” werden. Letztlich stellt sich dadurch die grundlegende Frage, ob das bisher gültige Schutzlandprinzip untergaben oder gar ganz aufgegeben werden soll. Eine solche Entwicklung wäre äußerst besorgniserregend und ginge im Hinblick auf die völkerrechtliche Souveränität der Mitgliedsstaaten entschieden zu weit.

Wie konkret ist denn dieser Vorstoß?

Sänger: Noch ist die ganze Diskussion im Anfangsstadium und teilweise sehr vage. Die Staatengemeinschaft debattiert über diese Themen - und die Bundesregierung sucht jetzt nach einer Position in den Verhandlungen. Wir sind deshalb als Non-Governmental Organisation um eine entsprechende Stellungnahme gebeten worden. Zunächst ging es dabei nur um einen besseren Informationszugang für Blinde und Sehbehinderte, weil die einzelnen Staaten hier eine enorme Bandbreite im Leistungsstandard aufweisen. In der Folge ist nun eine Grundsatzdiskussion über die Schrankenregelungen für Bibliotheken in Gang gekommen.

Könnte am Ende der Diskussion eine Überarbeitung des internationalen Urheberrechts stehen?

Sänger: Das hoffe ich nicht. Und davon sind wir meiner Einschätzung nach zum Glück auch noch weit entfernt. Der Diskussionsprozess bei der WIPO steht ganz am Anfang - und  es gibt auch mehrere Möglichkeiten, um das Ergebnis am Ende in konkrete Formen zu gießen. Die unterste Stufe wären Handlungsempfehlungen, die zwar keine Verbindlichkeit, aber eine gewisse politische Relevanz haben. Höchste Stufe wäre die Vertragsänderung auf völkerrechtlicher Ebene. Eine solche Änderung, womöglich mit sehr weit oder auch unpräzise gefassten Schranken, wäre sicher fatal für die Verlags- und Buchhandelswelt.

Wie unterschiedlich sind die Interessen der Mitgliedsstaaten?

Sänger: Die gehen sehr weit auseinander. Entwicklungsländer haben verständlicherweise großes Interesse an einer möglichst kostengünstigen Nutzung von Bildungsinhalten - also auf den ersten Blick vielleicht an möglichst offenen Schrankenregelungen. Dennoch muss es langfristig für die Anbieter - auch in Schwellen- und Entwicklungsländern - möglich sein, ihre Geschäftsmodelle wirtschaftlich zu gestalten. Sonst verarmt die Bildungslandschaft, weil die entsprechenden Titel für Verlage nicht mehr zu finanzieren sind. Wichtig und vernünftig wäre natürlich, dass die WIPO es hier dabei belässt, dass die Staaten ihre eigenen, differenzierten Lösungen vorsehen können. Damit könnten die Verlage sicher eher leben.

Was können die Verlage tun?

Sänger: Möglichst umfassende elektronische Angebote schaffen, damit der Vorwurf ins Leere geht, dass sie den Zugang zu digitalen Informationen verwehren. Für Deutschland jedenfalls trifft dieser Vorwurf einfach nicht zu. Die Verlage sind sehr aktiv, bieten ganz unterschiedliche Lizenz- und Nutzungsmodelle an und arbeiten bereits eng mit den Bibliotheken zusammen. Auch auf EU-Ebene wurde bereits letztes Jahr erfolgreich mit den Bibliotheksverbänden verhandelt - um die Digitalisierung vergriffener Print-Werke zu erleichtern. Das zeigt, dass die Zusammenarbeit sehr wohl funktioniert, aber eben von unten nach oben durch Zusammenarbeit der betroffenen Kreise - und nicht durch Schrankenregelungen, die von oben kommen und das Urheberrecht nach dem Gießkannenprinzip einschränken, gleich mit welchen Folgen.

Der so genannte Dreistufentest der Berner Übereinkunft legt fest, dass eine Urheberrechtschranke weder die normale Auswertung des Werks beeinträchtigen noch die berechtigten Interessen der Urheber unzumutbar verletzen darf. Ist das kein ausreichender Schutz vor weit reichenden Änderungen?

Sänger: Wir würden uns natürlich wünschen, dass der Dreistufentest auch in dieser Debatte als Leitbild für die Entwicklung neuer Schrankenbestimmungen dient. Schließlich hat sich die Staatengemeinschaft einmal auf diese Lösung verständigt. Durch die volle Berücksichtigung der Grundsätze des Dreistufentests ließen sich die schlimmsten Gefahren einer internationalen Harmonisierung bannen. Darauf können wir nur hoffen.

Können Sie auf die Unterstützung der Bundesregierung bauen?

Sänger: Wir haben großes Vertrauen in die Bundesregierung, dass sie sich auf WIPO-Ebene und zusammen mit anderen europäischen Ländern für ein starkes Urheberrecht einsetzt. Aber diese Unterstützung werden wir bei der aktuellen Diskussion auch brauchen.
 
Die Stellungnahme des Börsenvereins zur WIPO-Debatte ist hier als PDF-Datei abrufbar.