Interview mit Stephan Milich

"Am Checkpoint bin ich Tourist"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Islamwissenschaftler Stephan Milich, Kurator der Arabischen Literaturtage, über seine Disziplin und seine Erwartungen für die zweitägigen Literaturtage.
Welche Erwartungen haben Sie hinsichtlich der Arabischen Literaturtage?
Wir haben Veranstaltung mit bekannten und hier unbekannten Autoren im Programm. Ich hoffe, dass wir dazu beitragen können, die grundmenschlichen Fragen in den Mittelpunkt zu stellen und dadurch zu zeigen, dass die Distanz zur Arabischen Literatur viel kleiner ist als von vielen gedacht. Wir wollen nachhaltige Erkenntnisse vermitteln, die man nicht über das Fernsehen oder durch Zeitungslektüre machen kann.

Gibt es denn die arabische Literatur oder handelt es sich um viele arabischen Literaturen?
Die literarischen Traditionen der arabischen Länder sind sehr unterschiedlich, weil die Geschichte in den einzelnen Ländern so unterschiedlich verlaufen ist. Literaturen sind auch immer Nationalliteraturen und das Thema des Nationalen spielt in den arabischen Ländern meist eine bedeutende Rolle. Gleichzeitig gibt es aber große, gemeinsame Strömungen.

Welche Rolle spielt Literatur im Arabischen Frühling?
Vor allem die Lyrik eine sehr große. Die Poesie kann von Liebe und Politik erzählen, kann subversiv und kämpferisch sein und geht Verbindungen mit den Parolen der Demonstranten ein: Diese übernehmen berühmte Verse für ihre Zwecke, und andersherum greifen die Dichter die Parolen von der Straße auf. Junge und Alte hören gleichermaßen zu. Übrigens ist es weniger das geschriebene Wort, das hier zählt: Es sind viel mehr Kassetten als Bücher im Umlauf! Ob zu Hause oder im Taxi: Auf Poesie stößt man überall. Beliebt sind die subversiven Gedichte von Muzaffar al-Nawas.

Lässt sich der Arabische Frühling mit den Umbrüchen in Osteuropa in den 80er Jahren vergleichen?
Die Umbrüche in Osteuropa ähneln der Grünen Revolution im Iran. Wir müssen aber zeitlich gar nicht so weit zurück gehen: In Weißrussland gibt es momentan ähnliche Strukturen. Außerdem gibt es durchaus weltweite gemeinsame Grundlagen für die Aufstände und Verbindungen, etwa zur Occupy-Bewegung oder den Demonstrationen in Madrid.

Werden auch Autoren zu Gast sein, die sich kritisch zum Arabischen Frühling positioniert haben?
Diese anderen Stimmen gibt es. Adonis wurde etwa, ob zu Recht oder zu Unrecht, vorgeworfen, sich gegenüber der Syrischen Opposition zu distanziert zu zeigen. Der Druck für den Arabischen Frühling zu schreiben ist sehr groß. Die Debatten werden weniger sachlich als polemisch geführt. Es gibt Autoren, die nun schweigen, weil sie eine sehr problematische Nähe zur Macht hatten. Manche sind sogar ins Exil gegangen. Die Tradition des Herrscherlobs ist auch in den arabischen Ländern bekannt, so wie auch wir Hofdichter kennen. Um es kurz zu  machen: Wir haben keine Regimedichter eingeladen ­–­ zum einen wären sie nicht gekommen, zum anderen hätten uns viele andere Autoren empört abgesagt, die, wenn man den Maßstab der Qualität ansetzt, viel interessanter sind! Die Dynamik der Dichtung macht Hoffnung. Seit Jahrzehnten haben die Dichter Absurditäten offen gelegt, Despoten beschimpft und den Herrschern die Legititmation abgesprochen. 

Wie sind Sie eigentlich zu Ihrem Fach gekommen?
Als Schüler hat mich der Golfkrieg 1991 sehr bewegt. Auch nach dem 11. September gab es einen Boom an Studenten der Orientalistik. Mein Interesse wurde durch persönliche Kontakte in Toulouse zu algerisch-arabischen Studenten bestärkt. Die Sprache hat mir sehr gut gefallen. Islamwissenschaften sind außerdem eine  "schreckliche Disziplin": ein so breitgefächertes Studium ist nicht leicht zu finden, es ist eine Kombination aus vielen Disziplinen. Stellen Sie sich vor, es gebe ein entsprechendes Studium wie "Abendlandkunde"!

Neben ihrer Übersetzertätigkeit forschen sie vor allem über palästinensische Gegenwartslyrik?
Ja. Mein Lieblingsdichter ist Mahmud Darwisch. Zu Forschungszwecken war ich schon mehrfach in Syrien, Ägypten und Palästina, wo ich auch mehrere Monate gelebt habe. Das Übersetzen wurde irgendwann zum Selbstläufer.

Hatten Sie bei der Einreise ins Westjordanland schon einmal Probleme?
Ich hatte noch keine Konflikte, abgesehen davon, dass man das Gefühl hat ein Verbrechen zu begehen, wenn man in Israel sagt, man wohne in Ramallah. Am Checkpoint gebe ich mich stets als Tourist aus ...

Fragen: Kai Mühleck

 

 

Stephan Milich, geboren 1975 ist Islamwissenschaftler, Germanist und Übersetzer aus dem Arabischen. Er wurde über arabische Exillyrik promoviert und ist Kurator der Arabischen Literaturtage, die heute Nachmittag im Frankfurter Literaturhaus beginnen. Milich bricht eine Lanze für den arabischen Film: Im Frankfurt und Marburg sind derzeit Filmperlen zu entdecken - im Rahmenprogramm der litprom-Veranstaltung.