Interview mit Thomas Koulopoulos

"Befreit Euch von der Vergangenheit!"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Innovation ist Kleinarbeit und Teamwork – und nicht die geniale Erfindung eines Einzelnen. Thomas Koulopoulos, Gründer und CEO der Delphi Group, über die Herausforderungen der Branche im digitalen Wandel.

Innovation wird meist als neues, nie zuvor gesehenes Produkt verstanden, dass unser tägliches Leben und unsere Verbraucher­gewohnheiten revolutioniert. Tatsächlich ist Innovation aber ein Prozess. Wo beginnt Innovation im Unternehmen?
Wir stellen uns Innovation oft als etwas vor, das mit einer Idee beginnt. Wenn man ihr aber einen Anfangspunkt setzt, übersieht man in der Tat den Prozesscharakter der Innovation. Das ist ein entscheidender Fehler, denn ohne einen Prozess kann Innovation nicht nachhaltig sein. Sie bleibt dann ein punktuelles Ereignis. Unternehmen, die das verstanden haben, haben fast immer ein Verfahren für Innovation in Gang gesetzt, lange bevor sie das überhaupt brauchten. Für diese Unternehmen ist Innovation ein Herzstück ihrer Kultur und ihres Wertesystems.

Einen solchen Innovationsprozess in einem gealterten Unternehmen zu platzieren, ist nicht unmöglich, kann aber ein ganzes Jahrzehnt gemeinsamer Anstrengung erfordern. Ein Beispiel ist die 15-Prozent-Regel bei 3M, die, einfach formuliert, den Ingenieuren erlaubt, 15 Prozent ihrer Zeit mit nicht abrechnungsfähigen Tätigkeiten zu verbringen. Viele Leute sind eher mit einem ähnlichen Ansatz bei Google vertraut. Ich werde oft von Unternehmen gefragt, ob sie das Gleiche tun sollen. Meine Antwort ist: auch wenn sie es sollten, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie es ohne eine signifikante Krise oder einen unglaublich starken und engagierten Chef, der die Unternehmenskultur verändern will, tun. Das mag wie die Antwort eines Pessimisten klingen, aber es ist eine empirische Tatsache, die ich immer wieder beobachtet habe. Die Lektion, die man daraus ableitet, ist: Man muss den Innovationsprozess so früh wie möglich in die Strategie und Kultur der Organisation intergrieren, um ihn so nachhaltig wie möglich zu gestalten.


In Ihrem Buch "Die Innovations-Zone" entzaubern Sie den Mythos der genialen Erfindung und beschreiben Innovation als Verfahren, durch das neue Produkte entwickelt und realisiert werden können. Wie sieht Ihr Innovationsmodell aus?
Im 20. Jahrhundert wurden zahlreiche fundamentale Ent­deckungen in fast jedem Feld der Wissenschaft und Industrie gemacht. Viele dieser Erfindungen stiften der Menschheit großen Nutzen – von der elektrischen Energie über das Verkehrswesen bis zu Impfstoffen und Antibiotika. Doch nicht alle Erfindungen schaffen einen Wert. Selbst die, aus denen Produkte werden, landen nicht selten auf der Deponie. Innovation hingegen trägt immer zur Wertschöpfung bei, mal in Form kleiner Schritte, mal auf radikale Weise. Aber es ist besonders wichtig, nicht die schrittweise Innovation zu meiden, um die fundamentale Innovation zu erreichen.

Ich habe oft Firmen erlebt, darunter auch sehr große, die den Prozess der schrittweisen Innovation ignorieren, um dann eine Kultur einzuführen, in der die Mitarbeiter denken, Innovation sei die Aufgabe von irgendjemandem sonst. Das ist ein schwerwiegender Irrtum. In der heutigen Welt ist Innovation das Ergebnis einer breiten Zusammenarbeit und tausender kleiner Teilinnovationen. Der Fokus in diesem Modell richtet sich eher auf das Team als auf den einzelnen und eher auf die kleinteilige Innovation als auf die Durchbruchs-Erfindung. Das bedeutet nicht, dass letztere in jedem Fall verschwindet: Individuelles Genie und Durchbrüche werden immer Teil der Innovationsgleichung sein, aber eben nicht ein berechenbarer Teil.

Verlage müssen gerade den digitalen Wandel bewältigen. Welchen Rat würden Sie einem Verleger geben?
Die erste Lektion: Verleger müssen die Steigerung des Kundenerlebnisses als ihre Schlüsselinnovation begreifen. Das bedeutet weniger die Anreicherung von Inhalten mit Multimedia als die größtmögliche Personalisierung von Inhalten – auf der Basis eines Echtzeit-Verständnisses von Lesergewohnheiten. Die zweite Lektion: Verlage müssen sich vom Erfolg der Vergangenheit lösen. Sie müssen sich davon befreien, indem sie selbst in Technologien und Unternehmen investieren, die ihre Existenzgrundlage bedrohen. Es ist nicht leicht dies zu tun – und deshalb kommen die Player, die eine Branche neu definieren, fast immer von außen.


Interview: Michael Roesler-Graichen

 

Zur Person
Thomas Koulopoulos ist Gründer und Chief Executive Officer des US-Beratungsunternehmens Delphi Group, das seit 20 Jahren auf Innovationsmanagement und -beratung spezialisiert ist. Koulopoulos ist Autor des Buchs »Die Innovations-Zone. Wie sich Firmen neu erfinden« (Originaltitel: »The Innovation Zone«), erschienen im Midas Verlag in Zürich (272 Seiten, 29,80 Euro).