Porträt

Weltreisender Büchermacher

13. Januar 2012
von Börsenblatt
Lucien Leitess gründete in den 70er Jahren den Unionsverlag. Was auf einem Dachboden in Zürich begann, ist heute nicht weniger als literarische Heimat für Autoren der gesamten Welt. Rund zwei Dutzend arabische Schriftsteller hat der Büchermacher heute unter Vertrag.

"Sie verlegen doch den islamischen Nobelpreisträger?", wollte neulich ein Journalist von Lucien Leitess wissen. Höflich fragte der Büchermacher zurück: "Sie meinen sicher Nagib Machfus, der von einem Islamisten niedergestochen wurde?" Die Empörung über den unverhohlenen Eurozentrismus des Kulturbetriebs war es, die Leitess im Zürich der 70er Jahre jenen Dachbodenverlag gründen ließ, der heute bestens als Unionsverlag bekannt ist.

"Wir stellten damals fest, dass auf dem deutschen Buchmarkt ganze Kontinente fehlten", blickt Leitess zurück. Rund ein Zehntel der vom Unionsverlag publizierten Autoren hat arabische Wurzeln: Zu den 23 Schriftstellern gehören unter anderen die Friedenspreisträgerin Assia Djebar und die junge Ägypterin Mansura Eseddin. Leitess ist der Nimbus des Verlegers noch heute suspekt: Er erzählt vom Schauder, der ihn überfällt, wenn er an der Hotelrezeption das Wort in die Sparte "Beruf" einträgt. Einen Monat im Jahr ist der Büchermacher, wie er sich lieber nennt, auf Reisen.

Wohin zieht es den 61-Jährigen, dessen eigene familiäre Wurzeln bis nach Petersburg, Paris und Budapest reichen? »Durch alle Kontinente, am liebsten im Bus«, schmunzelt er. Leitess, ein ewig Reisender, aber bitte kein Tourist: "Eine Reise ist dann bereichernd, wenn man auf der Weltkarte nicht weiterkommt, als die Fläche, die unter einem Daumen Platz hat."

Wenn Leitess von den vielen arabischen Ländern erzählt, die er bereist hat, könnte man ihm stundenlang zuhören: Auf die uralten Metropolen Ägyptens, Libanons oder Syriens kommt er dann zu sprechen, die Nomaden der Wüste oder die vielschichtigen Literaturtraditionen des Maghreb. Über das Desinteresse, die Verallgemeinerungen des Westens kann er sich nur wundern: "Die Unterschiede sind so groß wie zwischen Norwegen und Sizilien." Diese Gleichgültigkeit gegenüber der Vielfalt werde in der arabischen Welt als massive Kränkung empfunden, weiß Leitess, der gegen die Selbsteinmauerung Europas ein Rezept kennt: "Gute Bücher mit offenen Augen zu lesen, hilft immer." Angeregt durch seine Reisen von Bali bis zur Oase Siwa, tauscht der Büchermacher bisweilen seinen Schreibtisch gegen das DJ-Pult: "Dann spiele ich schon einmal arabischen Funk, indischen Hip-Hop, afrikanische Beats oder Mardi-Gras-Grooves aus New Orleans."