Gastspiel

Windbeutelblues

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Was bringt das neue Jahr? Rainer Moritz schaut in die Zukunft.

Mein allererster Dank gebührt Charlotte Link. Mit ihrem frisch ausgelieferten Roman »Der Beobachter« setzt die Erfolgsautorin dankenswerterweise ein wichtiges Zeichen. Endlich, endlich scheint die triste Zeit vorbei, da man mit Buchtiteln wie »Die Glasbläserin«, »Die Cellospielerin«, »Die Totenwäscherin«, »Die Rosenzüchterin« (ja, auch Sie, liebe Frau Link …), »Die Mondschwimmerin« oder »Die Bernsteinsammlerin« nach all den Heerscharen lesender Frauen schielte, die – so die Hoffnung – am liebsten Geschichten von Frauen mit exotischen Berufen lesen. Damit könnte nun dank Charlotte Links Mut zum Maskulinen Schluss sein, und wir werden es klaglos hinnehmen, wenn Romane künftig »Der Glasbläser«, »Der Cellospieler« und so weiter heißen.

Diese Trendumkehr kann nicht verdecken, dass sich Verlage nicht nur bei Krimis schwertun, zündende, nicht bereits vergebene Titel zu finden. Vermutlich deshalb mehrt sich in der gehobenen Belletristik die Tendenz, die Gattungsbezeichnung gleich in den Haupttitel einzubauen. Was mit Matthias Polityckis »Weiber­roman« und Ulrike Kolbs »Roman ohne Held« begann, mit Georg Kleins preisgekröntem »Roman unserer Kindheit« und Gerhard Henschels drei Bänden »Kindheitsroman«, »Jugendroman« und »Liebesroman« weiterging, setzt sich nun mit Kathrin Seddigs »Eheroman« (der übrigens ein brillantes Cover hat) fort – ein Verfahren, das es Autoren, die Eheromane schreiben, erspart, sich famose Titel wie »Die öden Jahre« oder »Der Fremde neben mir« auszudenken.

Was wird uns 2012 noch erfreuen? Wiederentdeckte moderne Klassiker zum Beispiel, denn im Gefolge von Richard Yates oder Thomas Wolfe warten Sherwood Anderson, Hermann Ungar oder die wunderbare Jane Bowles darauf, von Lesern neu gewürdigt zu werden. Man kann ja nicht ständig Gegenwartsromane lesen.
Mit Unbehagen sehe ich hingegen die Ausbreitung kulinarischer Themen, offenbar der kleinste gemeinsame Nenner unserer gebeutelten Kultur. An leidige TV-Kochsendungen (und die daraus resultierenden Bücher) haben wir uns inzwischen gewöhnt und zappen sofort weiter. Immerhin besteht Hoffnung, dass der omnipräsente Alfons Schuhbeck, der sich nicht einmal zu schade dafür ist, Ingwersoße über Mc-Donald’s-Burger zu träufeln, bald in der verdienten Versenkung verschwindet. Verstärkt finden sich derweil Essensmotive auch in der Belletristik. Rita Falk scheint mit Werken wie »Schweinskopf al dente« und »Dampfnudelblues« Schleusen geöffnet zu haben. Ob es freilich nötig war, dass die bereits einschlägig erfolgreiche Elisabeth Kabatek (»Laugenweckle zum Frühstück«) mit einem »Spätzleblues« nachzieht, ist zweifelhaft und lässt mich an Windbeutel und falschen Hasen denken.

Und natürlich werden wir 2012 wieder Dichterjubiläen zu begehen haben. Die ersten Karl-May-Biografien sind bereits erschienen, und Autoren wie Gunnar Decker und Heimo Schwilk stehen auf dem Sprung, Hermann Hesses 50. Todestag publizistisch zu begleiten und den »Steppenwolf« auf seine Haltbarkeit hin zu überprüfen. Harry ­Belafonte hingegen lebt erfreulicherweise noch und veröffentlicht seine umfangreiche Lebensgeschichte »My Song«. Da summe ich schon mal »Island in the Sun« und bin keine Spur traurig darüber, dass 2012 wohl kein einziges Buch von Christian Wulff erscheinen wird.