Interview mit Agnes Krumwiede, Bündnis 90 / Die Grünen

"Der Wert kultureller Inhalte ist oft höher als ihr Preis"

5. Dezember 2011
von Börsenblatt
Der Leitantrag der Grünen zur Netzpolitik mit radikalen Forderungen zum Urheberrecht sorgte für Proteste – in der Kulturszene und in der Partei selbst. Im vorläufigen Beschluss des Kieler Parteitags wurde der Vorschlag, die Schutzfrist für Werke auf fünf Jahre zu verkürzen, gestrichen. Boersenblatt.net sprach mit Agnes Krumwiede, Sprecherin für Kulturpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion.

Wird der Graben zwischen Netzpolitikern, die ein "nutzerorientiertes" Kulturverständnis propagieren, und Kulturpolitikern, die meist selbst kreativen Milieus entstammen, in Gesellschaft und Parteien immer breiter?
Die rasante Entwicklung digitaler Möglichkeiten wurde unterschätzt, vor einigen Jahren gab es kaum legale Geschäftsmodelle im Internet zum Download. Illegale Tauschbörsen haben dieses Vakuum ersetzt. Wer sich daran gewöhnt hat, kostenlos Inhalte herunterzuladen, ist meistens schwer davon zu überzeugen, zukünftig wieder dafür zu bezahlen. Der Wert kultureller Inhalte für unser Leben ist oft höher als ihr Preis – ich bin davon überzeugt, dass sich diese nutzerorientierte Erkenntnis zugunsten der Wertschätzung kreativer Leistungen letztendlich durchsetzen wird.

Der Leitantrag zur Netzpolitik von Bündnis 90 / Die Grünen hat wegen seiner weitreichenden Forderungen nicht nur zu innerparteilichen Auseinandersetzungen geführt, sondern auch Autoren-, Verleger- und Künstlerverbände gegen die Partei aufgebracht – vor allem wegen der Forderung, die Schutzfristen für Werke im Urheberrecht radikal zu verkürzen. Verprellen die Grünen damit nicht einen wichtigen Teil ihrer Klientel?
Die Verfasser dieses Antrags haben schnell erkannt, dass hier eine abstruse Forderung aufgestellt wurde. Auf dem Parteitag ist dieser gravierende Fehler auch öffentlich eingestanden worden. Der ursprüngliche und öffentliche Antragstext war "nur" ein Entwurf. Wir verstehen uns als eine Kulturpartei, Künstlerinnen und Künstler gehören zu unseren grünen Wurzeln. Wir wollen ihre Rechte stärken, nicht abschaffen – deshalb wurde der Absatz des Antrags mit der drastischen Schutzfristverkürzung gestrichen.

Genügen die in Aussicht gestellten Konzessionen – Schutzfrist gleich Lebenszeit –, mit denen die Partei den Kulturpolitikern entgegenkommen will?
Eine Festlegung zur Schutzfristthematik wurde vertagt. Die Idee, Schutzfristen auf Lebenszeit zu begrenzen, wird lediglich als Prüfauftrag in Erwägung gezogen. Einer solchen Prüfung können wir Kulturpolitiker gelassen entgegensehen. Denn eine Verkürzung der Schutzfristen auf Lebenszeit ist schon wegen der internationalen Abkommen zum Urheberrecht, denen Deutschland beigetreten ist, realpolitisch gar nicht umsetzbar. 
Außerdem bezweifle ich, dass die Mehrheit meiner Partei damit einverstanden wäre, das Erbrecht abzuschaffen: Ein Ende des urheberrechtlichen Schutzes nach dem Tod dürfte sich auch negativ auf die Investitionsbereitschaft von Kulturschaffenden auswirken.


Die möglichst freie, nicht-kommerzielle Nutzung von Inhalten hat in der Urheberrechtsdebatte inzwischen viele Anhänger. Wie wollen Sie in Ihrer Partei für den Grundgedanken des Urheberrechts werben, dass kreative Leistung (eines Autors) schützenswert ist und es ein berechtigtes Interesse an einer Vergütung gibt?
Wenn wir qualitative Inhalte im Internet für nachfolgende Generationen bewahren wollen, müssen wir Konzepte entwickeln, damit die Rechte von Künstlern geschützt und neue Anreize gefunden werden, um die Entstehung neuer Werke zu fördern. Hauptproblem der Debatte ist die undifferenzierte und populistische Polarisierung nach dem Motto "wer sich für Urheberrechte einsetzt, will Nutzer kriminalisieren".  
Eine Modernisierung des Urheberrechts ist vereinbar mit einer Bewahrung des Schutzes der Rechte für Urheber. Ich bin optimistisch, dass uns diese "Quadratur des Kreises" bei der Ausgestaltung von Urheberrechtsreformen gelingen wird.

Sehen Sie einen pragmatischen Ausweg aus dem gegenwärtigen Dilemma, in dem "Urheberrecht" nur noch als Hasswort (so EU-Kommissarin Neelie Kroes) begriffen wird, und sich gleichzeitig die Urheber zunehmend schutzlos vorkommen?
Nicht das Urheberrecht an sich, sondern der Missbrauch des Urheberrechts hat das gegenwärtige Dilemma verursacht. Dazu gehören auch die unverhältnismäßigen Abmahngebühren, als deren Rechtfertigung fälschlicherweise das Urheberrecht missbraucht wird, ohne dass Urheber von diesem parasitären Geschäftsmodell profitieren würden. Ich bin der Meinung, das Modell eines minimalinvasiven Warnsystems und Kostenbefreiung bei den ersten beiden Abmahnungen wäre eine denkbare Lösung – womit allerdings nicht Modelle wie das französische Hadopi-Modell gemeint sind, welche mit einem grünen Grundrechtsverständnis nicht vereinbar wären.

Kann es sein, dass privatwirtschaftliche Verwerter von Inhalten – Verlage – nur noch als Profiteure an den Pranger gestellt werden und stattdessen eine Sozialisierung aller Werke gefordert wird, die möglicherweise auch einem staatlichen Dirigismus Tür und Tor öffnen würde?
Im Internet haben sich "neue Verwerter" etabliert, die  Inhalte verbreiten, an deren Entstehung sie weder finanziell noch ideell beteiligt waren - ohne in die Künstlerförderung zu investieren. Umso wichtiger ist es, die Akzeptanz für die Daseinsberechtigung von Verlagen ins Bewusstsein zu bringen und verstärkt Aufklärungsarbeit zu leisten, wie kulturelle, künstlerische und literarische Produktionen entstehen. Urheber brauchen Partner, auch und gerade im Zeitalter des digitalen Wandels. Das Internet kann keinen Lektor, keinen Manager und Tonmeister ersetzen. Diese Investitionen und die Vergütung der Urheber zukünftig ausschließlich staatlich zu subventionieren, wäre fatal – Kunst und Kultur dürfen nicht hauptsächlich staatlich gelenkt werden.
 
Gibt es aus Ihrer Sicht überhaupt einen dringenden Handlungsbedarf beim Urheberrecht?
Modernisierungsbedarf beim Urheberrecht sehe ich bei der rechtlichen Klärung im Umgang mit verwaisten Werken. Außerdem sollten die Bearbeitungsmöglichkeiten für Kreative erweitert werden, zum Beispiel im Bereich Mashup und Parodie. Langfristig brauchen wir eine gesamteuropäische Regelung, die sowohl die Lizenzierung von Werken als auch die Ausschüttung an Urheber wesentlich vereinfacht.