Kommentar zur Sprache im Netz

Der trojanische Pferdefuß

3. November 2011
von Börsenblatt
Die große Aufregung über den vermeintlichen 'Schultrojaner" ist vor allem Folge eines missbräuchlich verwendeten Begriffs. Ein Kommentar von Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir.
Sprache ist verräterisch, erst recht da, wo sie verhüllen will. Deshalb lernen Schüler bereits früh, was Euphemismen sind: der Versuch, missliche Sachverhalte mithilfe beschönigender Bezeichnungen zu verschleiern. Euphemismen in ihrer dreist-komischen Tapsigkeit laden dazu ein, entdeckt und für lächerlich gehalten zu werden. Idealer Schulstoff also. Seltener befassen sich Deutschlehrer mit dem Gegenstück: den Dysphemismen. Sie werden zu nicht minder minderen Zwecken gebraucht und zielen darauf ab, etwas­ unangemessen negativ darzustellen. Der Dysphemismus der Woche heißt: "Schultrojaner".

Mit der triefend ironischen Überschrift "Der Schultrojaner – Eine neue Innovation der Verlage" erschien am Montag dieser Woche ein netzaktivistenrhetorisch durchwirkter Text auf der Plattform netzpolitik.org. Kritisiert wird darin eine Vereinbarung zwischen dem VdS Bildungsmedien und den Bundesländern, wonach das digitale Kopieren von Lehrwerken mittels einer Software stichprobenartig auf urheberrechtliche Unbedenklichkeit überprüft werden soll. Trojanisch, also verdeckt, heimlich, unsichtbar invasiv ist daran gar nichts. Vielmehr setzt der Vertrag auf Kooperation, legt den Kopier-Check komplett in die Hand der Schulträger und fühlt sich dem Daten­schutz verpflichtet. Aber das mytho­logisch schillernde Wort "Trojaner" erweist sich derzeit als enorm resonanzfähig in Politik und Medien, weshalb es einer­ nüchternen Bezeichnung wie etwa "Überprüfungssoftware" aus netzpolitik.org’scher Sicht klar vorzuziehen war.

Die Attacke hatte schnell Erfolg. Tags drauf standen mehr als 200 aufgebrachte Kommentare gegen so viel Perfidie der Verlage online. Sogar Lehrer zögerten nicht, den Schultrojaner ohne Anführungszeichen der Distanznahme zu verwenden und die Idee pauschal abzulehnen: Vertrauensbruch! Als ob Vertrauen die geeignete Sozialtechnik für die Regulierung von Eigentumsnutzung wäre. Erregung­ ersetzt wieder mal Erkenntnis. Dabei hätten Erkenntnisse dem Thema gutgetan. Man hätte drüber nachdenken können, warum an Schulen immer schon viel kopiert wird. Man hätte sehen können, dass das Problem mit chronischer Unterfinanzierung mehr zu tun hat als mit geltendem Urheberrecht. Man hätte die Klage also an die Bildungspolitik adressieren können. Man hätte ... So aber bleibt nur der Befund, dass freiheits­strebende Netzaktivisten den Euphemistikern der alten Macht in Sachen Sprachmissbrauch Paroli bieten. Vielleicht bucht man’s unter­ "trojanischen Pferdefuß".