Schulbuch

„Wir wollen zu mehr Innovation und Risiko ermuntern“

27. Oktober 2011
von Börsenblatt
Leipzig lernt: Die Leipziger Buchmesse bündelt ihre Bildungsangebote künftig unter der Marke "Fokus Bildung" – und bindet dazu auch neue Partner ein, Partner wie das Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung (GEI) in Braunschweig. Gemeinsam mit dem GEI prämieren die Leipziger ab 2012 das "Schulbuch des Jahres". Welches Ziel das Institut damit verfolgt und wie Schulbücher idealerweise aussehen sollten? Ein Gespräch mit der Direktorin Simone Lässig.
In Zeiten, da alle von E-Books reden, sollte man Schulbücher nicht unterschätzen. Warum?

Lässig: Sie mögen nicht das Medium sein, was man spontan als das modernste einstufen würde – aber sie sind im Unterricht nach wie vor das wichtigste Medium; für viele Lehrer so etwas wie der ‚heimliche Lehrplan’. Schulbücher nehmen engen Bezug auf curriculare Vorgaben und spiegeln so in hohem Maß wieder, was die Bildungspolitik als relevantes Wissen definiert. Sie finden hier in kondensierter Form jenes Wissen, das an die nächste Generation weitergegeben wird. In gewisser Weise sind sie echte ‚Massenmedien’. Kein Heranwachsender kann ihnen entgehen.

Schulbuchverlage stehen unter Konkurrenzdruck, ihre Produkte sollen sich möglichst gut verkaufen. Innovation ist dagegen mit Risiken verbunden...

Lässig: Die Verlage befinden sich hier in der Tat in einem Zielkonflikt: Was sich im Unterricht bewährt hat, werden Lehrer auch künftig gern einsetzen. Da mag es ökonomisch reizvoller sein, eher moderat zu modernisieren. Gerade weil wir wissen, dass Innovationsfreude ein zweischneidiges Schwert sein kann, ist der neue Schulbuchpreis aber so wichtig: Er soll Verlage zu etwas mehr Risikofreude ermuntern. Angesichts der vielen Anforderungen, denen Schulbücher genügen müssen, gibt es für innovative Ansätze natürlich nur eine bestimmte Spannbreite– aber die wollen wir ausloten helfen!

Auch die Stiftung Warentest hat sich der Qualität von Schulbüchern angenommen. Mit dem Preis „Schulbuch des Jahres“ gehen Sie andere Wege?

Lässig:
Ganz bestimmt! Schulbücher sind keine Kühlschränke oder Stereoanlagen. Die Warentester haben vor allem nach sachlichen Fehlern geforscht. Wir hingegen wollen die öffentliche Debatte um moderne, konzeptionell wegweisende Lehrwerke anregen, ohne in Schulbuchschelte zu verfallen. Viel wichtiger erscheint uns, herausragende Titel als positive Beispiele hervorzuheben und so Anreize für die Qualitätsentwicklung zu geben. Die Bücher, die wir auszeichnen, sollen sich an der Lebenswelt der Schüler orientieren, Neugier wecken, Inhalte und Methoden der jeweiligen Fachdisziplinen altersgemäß und auf dem neuesten Stand vermitteln und eine klare Kompetenzorientierung aufweisen – gerade hier hat sich in den letzten Jahren bildungspolitisch vieles bewegt! Wir wünschen uns Bücher, die Kinder und Jugendliche befähigen, mit der wachsenden Diversität und Pluralität in unserer Gesellschaft angemessen  umzugehen. Dabei ist es letztlich unerheblich, ob ein Schulbuch gedruckt vorliegt – oder ob es irgendwann als e-Book in die Klassen kommt.  Die Charakteristika des Schulbuches als Medium ändern sich dadurch nur geringfügig. 


Zur Person:
Prof. Dr. Simone Lässig ist Jury-Vorsitzende des neuen Preises „Schulbuch des Jahres“, der 2012 im Rahmen der Leipziger Buchmesse erstmals vergeben wird. Sie arbeitet als Direktorin des 1975 gegründeten, kulturwissenschaftlich ausgerichteten Georg-Eckert-Instituts, das sich in den vergangenen Jahrzehnten als Zentrum für die vergleichende Analyse von Schulbüchern und ihrer gesellschaftlichen Kontexte profiliert hat und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft ist.