Neue Graphic Novels

Comics sind nicht nur komisch

21. April 2011
von Börsenblatt
Selbst das ZDF-Kulturmagazin "Aspekte" stellt inzwischen neue Graphic Novels vor: Die Bilderromane haben sich etabliert. Wir zeigen in einer Auswahl, wie vielfältig das Genre ist.

Opfer für den Fortschritt
Eine eindrucksvolle Graphic Novel über die Entdeckung des Weltraums, frisch ausgeliefert: "Laika" - so hieß die Hündin, die am 3. November 1957 in einer Rakete ins All startete, eine Rückkehr war von vorneherein ausgeschlossen. Nick Abadzis illustriert die Geschichte der Hündin von ihrer Geburt bis zum Tod fernab von der Erde auf ergreifende Weise, verknüpft Handlungsstränge durch lange Rückblenden, zeigt die bedingungslose Fortschrittsgläubigkeit im Raumfahrt-Rausch der Chruschtschow-Ära. Laikas Schicksal spiegelt der Zeichner mit einem aufs Wesentliche reduzierten Strich in der Empathie ihrer Betreuer wider - ein berührendes Buch, dem man sich nur schwer entziehen kann.

Nick Abadzis: Laika. Atrium, 202 S., 20 Euro

 

Mit kriminalistischem Gespür
München 1919: Inspektor Kajetan versucht den Mord an einem Journalisten aufzuklären, der über das Attentat auf Ministerpräsident Eisner recherchiert hat. Was inmitten des Bürgerkriegs alles andere als einfach ist. Bernd Wiedemann schafft ungemein atmosphärische Bilder, harte Bleistiftstriche kontrastieren mit pastosen Landschaften - ein künstlerisches Meisterwerk.

Robert Hültner, Bernd Wiedemann: Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski. DVA, Mai, 122 S., 24,99 Euro

 

Tiefe Verunsicherung
Kein leichte Kost: Depression, Selbsthass und Verzweiflung führen Stacy in einen freiwilligen Klinkaufenthalt. Was sie dort erlebt, wie sie sich an der Schwelle zum Erwachsenwerden fühlt und Halt sucht, schildert die "zu 95 % wahre" Graphic Novel der New Yorker Autorin Tracy White. Ihre Homepage, auf der sie immer wieder aus ihrem Leben berichtet, trifft ebenso wie ihr Comic den Nerv einer Generation, die langsam lernt, mit solchen Probleme offen umzugehen. Whites zarte Strichzeichnungen, die die Verletzlichkeit der Protagonistin noch unterstreichen, und Sitzungsprotokolle ihrer Therapeuten lassen den Leser teilhaben an ihrem schwierigen Weg zurück ins Leben.

Tracy White: Irgendwie dazwischen. Walde + Graf, 159 S., 18,95 Euro


 
Bielefelder Action
Eine Verschwörung ist in Bielefeld im Gange und niemand unternimmt etwas dagegen. Oder doch?! Ein unerschütterlicher Uni-Professor und drei seiner Studenten lassen sich nicht beirren und gehen den Machenschaften auf der Sparrenburg nach. Sie müssen jedoch schnell Versengeld zahlen, fliegen ihnen doch die Kugeln nur so um die Ohren. Irre Verfolgungsjagden, schöne Frauen, dramatische Momente, Hightech-Waffen: Dieser Comic bietet alles, was gute Action ausmacht.

Embe, Thomas Walden, Olga Hopfauf: Die Bielefeld Verschwörung. Pendragon, 88 S., 10,95 Euro

 

Dante light
Die drei mal 33 Gesänge der gewaltigen »Divina Commedia« hat Chwast auf wenige Kernaussagen eingedampft. Bei der Jenseitsreise durch Hölle, Fegefeuer und Paradies wechseln Keith Haring-artige Szenerien mit Film-noire-Momenten. So können auch Jüngere, die vor langen Versen zurückschrecken, die Inhalte des toskanischen Klassikers für sich entdecken.

Seymour Chwast, Dante Alighieri: Göttliche Komödie. Knesebeck, 128 S., 19,95 Euro

 

Zarte Liebe
Taniguchis einfarbige, klar strukturierte Zeichnungen passen perfekt zu Hiromi Kawakamis Roman. Die beiden einsamen Helden der Geschichte - eine 38-Jährige und ihr ehemaliger Lehrer - freunden sich langsam an, es entwickelt sich eine zarte Liebe. Der Illustrator zaubert seinen Figuren eine leichte Melancholie in den Blick und arbeitet sehr fein und differenziert am Ausdruck der Gesichter.

Jiro Taniguchi: Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß. Carlsen, Juni, 232 S., 16 Euro

 

Herzschmerz
Comic-Genius Neil Gaiman nimmt sich einen klassischen Stoff der Commedia dell´arte, transferiert ihn in die Neuzeit und heraus kommt eine nicht alltägliche Liebesgeschichte über den Harlequine, der sein Herz verschenkt. Die fotorealistische, farbenprächtige Umsetzung verstärkt den Kontrast von Historie und Gegenwart perfekt.

Neil Gaiman, John Bolton: Harlequine Valentine. Panini, 40 S., 12,95 Euro

 

Historiendrama
In einem französischen Bergarbeiterdorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts kommen eine junge Zigeunerin und ein Bergarbeiter einem alten Geheimnis auf die Spur. Nicht nur das Comic ist bemerkenswert, auch der Anhang: Skizzen, geschichtliche Hintergründe zur Situation der Sinti und Roma und der Bergleute.

Cyril Bonin, Laurent Galandon, Wer Wind sät. Finix Comics, 80 S., 17,80 Euro

 

Das Streben nach Macht
Dieses Epos in zehn Kapiteln spielt 44 v. Chr. in den unwirtlichen Grenzgebieten des römischen Reichs. Mit der Wucht der antiken Tragödie behandelt Graphic-Novel-Autor Blutch sehr assoziativ die Themen Ehrgeiz und Machtwillen, beschreibt mit ausdrucksstarken Schwarzweiß-Zeichnungen eine Welt aus Herrschaft und Unterordnung, in der Schönheit und Grausamkeit dicht beieinanderliegen.

Blutch: Peplum. Avant, 160 S., 25 Euro

 

Fantasy in Serie
Die 16-jährige Akari hat nur ein großes Ziel: Sie will auf dem Planeten Aqua bei der Aria Company eine traditionelle Gondoliere, eine Undine, werden. Während ihrer Ausbildung hat sie jedoch so manches Abenteuer zu bestehen, trifft Freunde und Konkurrentinnen und es gibt einige humorvolle Verstrickungen. Und wem das nicht genug Lesestoff ist, dem sei auch noch die Vorgeschichte AQUA (auch bei Tokyopop erschienen) empfohlen.

Kozue Amano, Aria. Tokyopop, sechs Bände, je Doppelband ca. 370 S., je 9,95 Euro

 

Fiktive Fallstudie
Von Seite zu Seite zeigt diese Graphic Novel, wie die 14-jährige Jessica immer dünner wird, wie Familie und Freunde mit der Magersucht des Mädchen umgehen. Sabischs konturbetonte Striche schaffen einen stimmigen Ausdruck für die sensible Geschichte.

Ingrid Sabisch: 41,3 kg - Magersucht. Gütersloher, 80 S., 14,99 Euro

 

Autobiografisches
Anhand zweier Aufenthalte in Hamburg erzählt die Schweizer Autorin von Liebesbeziehungen, Geldnöten, Gedanken ums Zusammenziehen, ersten Jobs und künstlerischer Entfaltung. Genau beobachtet, leicht vorgetragen und faszinierend.

Kati Rickenbach: Jetzt kommt später. Edition Moderne, 304 S., 24 Euro

 

Widerspruchsfreie Logik
Anfang des 20. Jahrhunderts stürzte die Mathematik in eine Grundlagenkrise, denn Bertrand Russell entdeckte ein Paradoxon: Wer rasiert den Barbier, der alle Männer im Dorf rasiert, die sich nicht selber rasieren? Die Graphic Novel erzählt aus Russells Sicht, wie Mathematiker die krise zu bewältigen suchen, und schafft es, ein hochkomplexes Thema kurzweilig zu vermitteln.

Apostolos Doxiadis, Christos Papadimitriou, Alecos Papdatos und Annie di Donna: Logicomix. Eine epische Suche nach Wahrheit. Atrium, 352 S., 24,95 Euro

 

Bücherkino
Solidor komprimiert Christies Krimiklassiker und fängt dabei die exotische Stimmung Ägyptens in flächigen Bildern ein. Das Großformat besticht durch seine lebendigen, farbigen Szenen mit cineastisch raschen Bildschnitten.

Agatha Christie, François Rivière, Solidor: Tod auf dem Nil. Knesebeck, 48 S., 16,95 Euro

 

Szenen aus dem All
Ein Astronaut und seine Schildkröte versuchen den Mars zu ergründen, haben Wahnvorstellungen in Form eines verhassten Arbeitskollegen und betreiben eine Tankstelle im All. Skurile, formal reduzierte Strips und krude Szenen mit feinem Witz: ein heiterer, aber auch nachdenklicher Comic.

Leopold Maurer: Mann am Mars. Luftschacht, 80 S., 18,50 Euro

 

Indianische Sage
Ein Indianerdorf wird von Krankheit und Tod heimgesucht. Ein wagemutiger Krieger sucht Hilfe bei den Hexern. Stimmungsvolle Bilder nehmen den Leser mit auf die Reise in die Dunkelheit.

Florian Biege, Alexander Berger: Im Bann der Hexer. Ehapa, 64 S., 13,99 Euro

 

Doku-Comic zur Beatliteratur
In 25 Kapiteln zeichnen 17 Texter und Illustratoren die Geschichte der Beat-Literatur nach, Figuren wie Kerouac, Ginsberg und Burroughs führen in die Beat-Szene ein. Ein faktenreicher Doku-Comic, mal expressiv, mal holzschnittartig, der die Lebensgeschichten der Autoren kritisch ausbreitet.

Harvey Pekar, Paul Buhle (Hrsg.): The Beats. Walde + Graf, 208 S., 22,95 Euro

 

Buddhismus im Comic-Stil
Über die großen Weltreligionen werden immerwieder dicke Wälzer geschrieben, oftmals schwer zugängliche Bleiwüsten, die eher abschreckend als zum Lesen zu verführen. Einen anderen Weg beschreitet der amerikanische Philosophieprofessor Stephen T. Asma, der kurzweilig und unterhaltsam in den Buddhismus einführt. Mit kurzen Texten, witzigen Zeichnungen und viel Wissensgehalt bringt er dem Leser diese Religion näher. Buddha als Comic-Figur, Gelehrte, die ihre Weisheiten durch Sprechblasen verkünden – ein neuer, leichter Zugang zu einer schwierigen Materie.

Stephan T. Asma: Buddha für Anfänger. Bastei Lübbe, 172 S., 12,99 Euro