Erwin Poell – Versuch einer Annäherung
1977 betrat ein Mann den Konferenzraum des Ernst-Klett-Verlages in der Stuttgarter Rotebühlstrasse, dem Feuersee mit der neugotischen Johanneskirche gegenüber. "Herr Poell, Erwin Poell, aus Heidelberg“ wurde er vom Redaktionsleiter für den Bereich Wörterbücher, der Runde aus Redakteuren, Herstellern und Mitarbeitern der Vertriebs- und Werbungsabteilung vorgestellt. Der freundliche, bescheiden auftretende Mann wurde von vielen neugierigen Augen betrachtet - aufmerksam, neugierig, reserviert, skeptisch. Den meisten von ihnen war er unbekannt. Die beiden Wörterbücher des Klett- Verlages - Schöffler/Weiß und Weiß-Mattutat - mit dem sperrigen Titel “Wörterbuch der englischen bzw. französischen und deutschen Sprache” im hausbackenem Umschlag, sollten mit einem unverwechselbaren, kurzen Titel und mit einer frischen Gestaltung neue Käuferschichten ansprechen. Auch steckte dahinter das kühne Vorhaben, gegen den marktbeherrschenden Langenscheidt-Verlag anzutreten und neue Kunden zu gewinnen und an die Marke zu binden. Das Blau-Gelb dieses Verlages mit dem großem L waren die dominierenden Farben in den Wörterbuchregalen der Buchhandlungen - und das schon seit vielen Jahren mit ungebrochenem Erfolg.
Wenn der Ernst-Klett-Verlag in den Wörterbuchsektor eindringen wollte, musste ein neuer Titel gefunden werden und dieser in einer adäquaten Umschlaggestaltung seinen unverwechselbaren Ausdruck finden. Im Verlag hatte sich in vielen Brainstorming-Runden der Markenname PONS für die vorhandenen und die noch zu entwickelnden Wörterbücher durchgesetzt. PONS – Brücke zu neuen Sprachen, Brücke zu neuen Käuferschichten, Brücke zur Welt. So weit, so gut, was den Titel betraf. Wer aber konnte diesen einprägsamen Titel ebenso einprägsam mit einer Gestaltung visualisieren, die über viele Jahre tragbar sein musste und sich von Langenscheidt deutlich unterschied? Nach sorgfältiger Recherche fiel der Blick auf den Heidelberger Grafik-Designer Erwin Poell, in Fachkreisen kein Unbekannter, vor allem, was die Langzeitwirkung seiner Arbeiten betrifft. 1957 hat er das Markenzeichen für den Ars Librorum-Verlag und das Eulen-Signet für den Ullstein-Verlag kreiert.1967 gab er der “Propyläen Kunstgeschichte” ein unverwechselbares, zeitlos wirkendes Reihengesicht. 1974 hatte er für den Cornelsen-Verlag das Biologie-Schulbuchwerk überzeugend gestaltet. Die von ihm vorgelegten Proben seines Schaffens für die mannigfaltigen Printmedien überzeugten im Verlag, mit Erwin Poell den richtigen Mann gefunden zu haben.
Gleich bei dieser ersten Begegnung wurde allen bewusst, dass Erwin Poell die seltene Gabe hat, aufmerksam auf das zu hören, was man von ihm will. Er platzt nicht gleich vorschnell mit spontanen Vorschlägen heraus. Mit präzisen, die Aufgabe umkreisenden Fragen, sucht er einen genauen Überblick über die von ihm geforderte Arbeit. Damit gab er bereits zu erkennen, dass die Aufgabe seiner Neigung und seinem Können entsprach. Der Verlagsrunde im Hause Klett versprach er, einen ausgereiften Vorschlag zu einem vereinbarten Termin vorzulegen und verabschiedete sich, ohne zunächst auf das Honorar einzugehen. Mit dieser souveränen Haltung gab Poell von Anfang an zu verstehen, dass er sich als gleichberechtigter, mitdenkender und weiterdenkender Partner und nicht nur als Ausführender dessen versteht, was man ihm vorgibt. Die Souveränität des von seinem Können überzeugten Grafikers beeindruckte, gab aber auch Anlass zur Skepsis, vor allem bei denen, die gerne alles besser zu wissen glauben.
In seinem schönen Haus in Heidelberg unterhalb vom Heiligenberg arbeitet Erwin Poell, der sich zu keiner Zeit in ein Angestellten-Verhältnis einzwängen ließ, als eine nur sich selbst verantwortliche Einmann-Firma. In seinem Atelier herrscht penible Ordnung, alles hat seinen gebührenden Platz. Sein Arbeitsplatz ist zugleich Ausdruck seiner von seinem Naturell bestimmten Arbeitsweise. Was die äußere Form angeht, stellt er das Ergebnis seiner Arbeit sorgfältig in typografisch meisterhafter Form in Mappen zusammen und legt sie pünktlich zum vereinbarten Termin den Auftraggebern vor. Schritt für Schritt hat er zuvor alle Möglichkeiten des Auftrages überdacht, Unstimmiges verworfen, Neues erkundet, Alternativvorschläge erarbeitet. Er kann dabei aus einem riesigen Fundus seiner Erfahrung schöpfen - Briefmarken seit 1953, Bucheinbände seit 1955, Logos seit 1955, Werbung für namhafte Firmen seit 1956. Vor allem aber hatte er Erfahrung mit der Entwicklung des Corporate Design für C.F. Boehringer gewinnen können. Nahezu alle seine Arbeiten erfüllen die für Medien überlebensnotwendige Voraussetzung einer Lebensdauer über viele Jahre. Dem begnadeten, von mir hochgeschätzten, Heinz Edelmann ist das mit seinen vielen originellen, oft ungewöhnlichen Buchcovern nicht beschieden gewesen.
Poell ist seinem Naturell nach ein Konservativer im guten Sinn des Wortes: Bewährtes klug bewahren, Neues bedächtig erkunden. Mit seinen Arbeiten achtet er auf das, was sein Grafikkollege Juergen Seuss postuliert: “...nicht epigonenhaft eifern, nicht dreist plagiieren, sondern kreativ handeln ... Mit Biedersinn ist Originalität nicht zu schaffen.” Poell ist sicherlich wegen dieser Grundeinstellung einer der wenigen Grafik-Designer Deutschlands, dessen Arbeiten auch nach vielen Jahren die Frische ihrer Entstehungszeit behalten haben.
Pünktlich zum vereinbarten Termin legte Erwin Poell im Ernst-Klett-Verlag seinen Vorschlag vor; nur einen Vorschlag – nicht beliebig viele, aus denen die Verantwortlichen aufgefordert waren, sich das Geeignete herauszusuchen. Das erkundende Umkreisen aller Möglichkeiten dieses Auftrages fand in seinem Atelier statt. Wieder sei Juergen Seuss zitiert: “Man weiß seit langem, dass zum Verständnis ästhetischer Gebilde nicht nur die Fähigkeit gehört, ihre Formspannungen positiv nachzuvollziehen, sondern mehr noch die, zu spüren, worauf in den Werken verzichtet wird, was sie unterlassen ... welchen Verlockungen sie ausweichen. Gebilde, die etwas taugen, stellen Abdrücke zwingender Unterlassungen dar...” Was sich schließlich nach langen Überlegungen als das Richtige heraus kristallisierte, nur das legt Poell vor, von sich und dem Ergebnis seiner Arbeit überzeugt.
Und Poell hatte es verstanden, alle im Ernst-Klett-Verlag von seinem Vorschlag zu überzeugen. Blau und Grün wählte er als Signalfarben, die einen eindeutigen Kontrast zum leuchtenden Gelb des Langenscheidt-Verlages schaffen. Die Buchstaben des Wortes PONS in blauer Farbe zerlegte er in Punkte. Das O formte er rund, von dem übrigen Schriftzug abweichend, nach der Form der Lippen beim prononcierten Sprechen dieses Vokals. Die Untertitel treten weiß aus der grünen Fläche heraus. Diese Gestaltung läßt sich, wie er an vielen Beispielen zeigte, auf verschiedene Buchfomate und Werbemittel anwenden. Es war faszinierend zu erleben, dass Poell über das Gewünschte hinausgedacht hatte und weitere Nutzungen vorstellte, auf die zu diesem Zeitpunkt im Verlag noch keiner gekommen war: vom großflächigen Plakat für das Schaufenster bis zum kleinen Werbeaufkleber, von der Gestaltung des Messestandes bis zur Leuchtschrift über einer Buchhandlung. Poell: “Sie werden bald feststellen können, dass in den Buchhandlungen neben der gelben immer mehr die grüne Farbe im Wörterbuchregal zu sehen sein wird, die Kunden anlockt”. Und er behielt Recht, Recht bis heute nach über dreißig Jahren. Dieser Gestaltungserfolg beflügelte die Verlagsredaktion, immer neue Wörterbücher für verschiedene Bedürfnisse zu entwickeln. Witzige Zeichnungen und Fotos konnten bei Reisewörterbüchern dazu gestellt werden, ohne dass die Grundgestaltung in ihrer Wirkung verwässert wurde. Form und Inhalt sind eine sich gegenseitig befruchtende Wechselwirkung eingegangen. Es darf vermutet werden, dass auch darin der Erfolg Erwin Poells zu sehen ist.
Poell steht mit seinen Schöpfungen nicht nur mit PONS und dem Reihengesicht für die Propyläen Kunstgeschichte als Garant für einen langen Halbzeitwert über viele Jahrzehnte hinweg, in der Tradition von Reclam, Insel-Verlag und Langewiesche. Auch die von ihm entwickelten Logos sind die Frucht seines Arbeitsstiles und erfüllen damit die gewünschte Langzeitwirkung.
Eine geglückte Symbiose von bewährter Tradition und gegenwartsbezogener Ausrichtung kann am Beispiel des Logo für die Bodelschwinghsche Stiftung Bethel erfahren werden. Poell nimmt 1990 als Grundlage seines Entwurfs das in ganz Mitteleuropa bekannte Kronenkreuz der evangelischen Diakonie mit den zwei Bogen obenauf und ergänzt es mit zwei weiteren symmetrischen Bogen unterhalb des Querbalkens. Das auf gleicher Höhe daneben stehende Wort Bethel und das Kreuz stellt er in eine weiße Umrandung und gibt damit Gewicht. “Vor allem aber symbolisiert diese Gestaltung in der offenen Schrift-/Typografiegestaltung Leichtigkeit und Transparenz, dabei Geschlossenheit und Kompaktheit. Durch diese Transparenz wird Offenheit signalisiert für jeden, der kommt und hilfebedürftig ist; die Geschlossenheit der Linien signalisiert Geborgenheit für alle, die der Kreis umgibt”, schreibt dazu Jens U. Garlich, Pressesprecher in Bethel. Dieses Logo erfüllt damit den Anspruch, sich leicht ins Bewußtsein der Menschen einzuprägen und das Eingeprägte auf Dauer zu behalten.
Das von Poell 1994 gechaffene Logo für seine Heimatstadt Heidelberg beschränkt sich auf das, was jeder – Einwohner oder Tourist - mit Heidelberg verbindet: Schloß, Fluss und Brücke. Das Logo wird zum Botschafter der Stadt in denkbar knappster Form der Gestaltung, nahezu auf ein Wappen reduziert. Dieses Logo im ansprechenden farblichen Aufbau soll eine emotionale Beziehung zu der bezaubernden Stadt am Neckar schaffen, wie es ihm mit der Ullstein-Eule gelungen war.
Erwin Poell hat, wie alle seiner Generation, im zweiten Teil des vergangenen Jahrhunderts die atemberaubend rasante Entwicklung vom Bleisatz über den Fotosatz zum digitalen Computersatz, von der gezeichneten und fotografierten Papierbildvorlage bis zur elektronischen Bildbearbeitung auf Pixelebene, vom Hochdruck bis zum Digitaldruck erlebt. Während seiner Schaffenszeit wandelte sich nicht nur die Technologie grundlegend, sondern in immer kürzeren Abständen auch der visuelle Geschmack. Die neuen technischen Möglichkeiten bieten dem Grafiker nahezu unendlich viele Anwendungsmöglichkeiten. Sie haben aber auch die Gefahr heraufbeschworen, mit den alten Techniken auch die bewährten Regeln der Typografie aufzuweichen oder gar aufzuheben. Auch verkürzt sich die dem Grafiker zugestandene Zeit, die das Nachdenken über eine ausgewogene Gestaltung erfordert. Viele Designer erlagen diesem Druck und lieferten, der launischen Mode nachhechelnd, Unausgereiftes. Ihre Werke verschwanden ebenso schnell, wie der Trend wechselte. Erwin Poell hingegen bewahrte mit großer Standfestigkeit seinen Standpunkt, dass zur Kreativität Zeit zum abwägenden Nachdenken gehört und zur Erkundung dessen, was Dauer verleiht.
Der Erfolg gab ihm Recht, die meisten seiner Schöpfungen sind heute noch mit Lust anzuschauen. Ich denke auch an die vielen von ihm entworfenen Briefmarken. Die Marke “Hundert Jahre Industriegewerkschaft Bergbau und Energie” von 1989 scheint mir besonders gut gelungen, weil Poell es verstanden hat, für den deutschen Bergbau eine noch immer gültige Symbolik zu kreieren.
Andere Grafik-Designer, wie Max Caflisch, Hans Peter Willberg und Kurt Weidemann, um nur einige zu nennen, haben in Büchern und zahlreichen Aufsätzen ihr Wissen zusammengefasst und damit Nachschlagewerke für angehende Grafik-Designer veröffentlicht. Erwin Poell wählte einen anderen Weg. Er hat seine in Jahrzehnten erworbene Erfahrung nicht in einer alles zusammenfassenden “Summa Typographia” niedergeschrieben, um für kommende Generationen Bewährtes festzuschreiben, Rat und Hilfe in der zunehmend digitalisierten Medienwelt zu geben. Er bevorzugt dafür die kleine Form: Vorträge in typographischen Zirkeln wie in der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, oder vor Laien wie bei den Heidelberger Briefmarkenfreunden. Dazu kamen noch kürzere designtheoretische Schriften, die mit dem jeweilige Auftrag verknüpft waren.
Auch das Lehren als Professor an Hochschulen, ihm immer wieder angeboten, lehnte Erwin Poell ab. So wie er sich nicht an einen Arbeitgeber mit einem Angestelltenverhältnis binden wollte, so vermied er auch die Bindung an ein Lehrinstitut. Und er hat gut daran getan, im Nachhinein betrachtet. Viele seiner Arbeiten wären gar nicht erschienen, weil ihm administrative Aufgaben zu wenig Zeit dafür gelassen hätten. Poell wirkt mit und durch seine Werke.
Abgesehen von einigen beruflichen Begegnungen hatte ich erst in späten Jahren, in denen jeder auf sein Berufsleben zurückblickt, das Glück, Erwin Poell auch privat kennenlernen zu dürfen. Daraus ist Freundschaft erwachsen, für die ich dankbar bin. Ich muss immer wieder darüber nachdenken, worin sein Charisma begründet liegt, womit er Freunde und Kollegen an sich zu binden weiß, ihnen Anregungen gibt und Anregungen empfängt. Damit verknüpft ist seine bewundernswerte Veranlagung, mit allen Sinnen auf die Wünsche seiner Auftraggeber respektvoll einzugehen, um dadurch breite Akzeptanz für seine Arbeiten zu finden. Auch sachlicher Kritik gegenüber ist er offen und weiß sie umzusetzen. Jahrzehntelange Erfahrung hat ihn gelehrt, die eigenen Grenzen zu kennen und nur die Gestaltungsformen zu verwirklichen, die seinem Können entsprechen. Poell besitzt auch das so seltene untrügliche Gespür, was von Dauer sein kann oder nur kurzfristiger Mode unterliegt. Aber auch das Glück des Tüchtigen kommt hinzu, verständnisvolle Auftraggeber zu finden Vor allem aber hat er, ein empfindsamer, sensibler Mensch, Geborgenheit in einer harmonisch zusammenlebenden Familie gefunden mit einer Frau, die ihn in seinem Schaffen partnerschaftlich unterstützt. Mit dem Aufgeführten lässt sich zwar manches, aber nicht alles an Poells Person begründen. Poells Charisma hat viele Facetten.
Ich möchte mich abschließend der Meinung von Professor Ernst Peter Fischer von der Universität Konstanz anschließen: “Ich kenne Erwin Poell also vor allem durch seine Arbeit ... also jemanden, der malend und zeichnend ausdrücken kann, was andere nur in Worte zu fassen vermögen.” Dafür sei ihm zum 80. Geburtstag aufrichtig Dank gesagt.
Hubert Blana