Der gegenwärtige Mieter der Bel-Etage, der Foto-Künstler und Akademie-Professor Matthias Leupold, hat sich auf die große Geschichte des Hauses besonnen und möchte es zu ausgewählten Anlässen dem Verlag zur Verfügung stellen.
1905 zog Samuel Fischer mit Familie hier ein; des Großstadttrubels überdrüssig. Sein 1886 gegründeter Verlag hatte den rasanten Aufstieg der Industrie-Metropole Berlin begleitet – mit der modernsten Literatur, die damals zu haben war, dem Naturalismus. 1901 wurde es mit Thomas Manns „Buddenbrooks“ gediegener. Und auch für den Verleger war die Zeit gekommen, ein Haus zu bauen. Architekt der Villa war ein Impulsgeber des neuen Bauens, Hermann Muthesius.
Barbara Hoffmeister las an diesem Abend im Salonzimmer aus ihrer Biographie Samuel Fischers – Lebensgeschichte als Verlagsgeschichte. Das Buch erschien im vergangenen Herbst zum 150. Geburtstag des Verlegerpatriarchen – und ist womöglich doch nicht ganz pünktlich gekommen, denn zu den ersten Recherche-Ergebnissen der Autorin gehörte die gesicherte Vermutung, dass Samuel Fischer seinen Geburtstag um ein Jahr nachdatiert hat.
In dem Buch beschreibt sie auch die Villa. Von der Original-Ausstattung, etwa den „gewölbten Kassettendecken“ und den „hohen Lederlehnstühlen mit eingeprägtem Fischer-Signet“ ist heute nichts mehr zu entdecken. Der Blick auf das Haus von der Gartenseite lässt das Herz des Literaturkenners allerdings höher schlagen. Dort ist sie, die Veranda, die auf vielen Fotos überliefert ist: Samuel Fischer mit Familie oder mit den Stammautoren seines Hauses an der Kaffeetafel. Hier haben sie gesessen und der Grunewaldluft ihren Zigarrendampf beigesteuert: Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse, Thomas Mann und all die anderen legendären Hausautoren.
Die Villa war ein offenes Haus mit vielen Gastzimmern. Besuche beim Verleger gehörten zur Pflege der Autoren. Wer „Phantasiewerte“ – so ein Wort Fischers für seine verlegerische Ware – schaffen soll, der brauche eine verlässliche Basis. Das Unternehmen S. Fischer setzte auf Kontinuität statt Expansion.
Zu den Ehrengästen dieses Abends gehörte der hundertjährige Hans Keilson – wandelnde Verlagsgeschichte. Auch die Enkelin Gisela Fischer war gekommen und erzählte von ihrem Großvater, den sie nur wenige Jahre erlebt hat. Eines Tages im Herbst 1934 sei sie von der Kinderfrau in sein Zimmer geschoben worden. Der Großvater habe auf einer Empore in einem riesigen Bett gelegen, den kahlen und vom großen Mund geprägten Kopf hoch gelagert auf weiße Kissen. Sie sollte sich von ihm „verabschieden“ – und wunderte sich, auf welche Reise der alte Mann bloß gehen wollte.
Nach dem Tod Samuel Fischers leitete Schwiegersohn Gottfried Bermann Fischer den Verlag, bis zur Emigration 1936. Die Villa wurde „arisiert“; nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie an die Besitzer zurückerstattet. Bevor das Haus endgültig verkauft wurde, lebte hier in einer kleinen Wohnung unterm Dach für einige Zeit der langjährige Berliner Repräsentant des Verlages, der vor drei Wochen verstorbene Leo Domzalski. Auch er war noch an der vorfreudigen Vorbereitung des Abends beteiligt, den er dann nicht mehr erleben durfte.
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