Solche maßgeschneiderten Repliken wird jeder überliefern können, der Richard von Weizsäcker einmal begegnet ist. Der wohl bedeutendste Bundespräsident dieser Republik hat sich mit seinen beiden großen Reden vom 8. Mai 1985 und 3. Oktober 1990 (und übrigens auch anderen wichtigen Reden, die nur nicht ganz so berühmt geworden sind, wie etwa jener nach den Brandanschlägen von Mölln und Solingen am 3. Juni 1993 mit ihren energischen Worten gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit) nicht nur deshalb in das Bewusstsein der Deutschen eingeschrieben, weil diese Reden zum richtigen Zeitpunkt das Notwendige sagten, sondern auch weil sie in einer klaren und geistvollen Sprache formuliert waren, deren Niveau in der Politik ringsumher Seltenheitswert hat.
„In der Wortewelt“ sei er beheimatet, hat Gunter Hofmann, Verfasser einer neuen Biographie Weizsäckers*, in einem Portrait aus Anlass des 90. Geburtstages in der „ZEIT“ geschrieben. Was damit gemeint ist, sind freilich nicht allein die Insignien der Redekunst Weizsäckers, seine federnde Eloquenz, die genau kalibrierte Ironie und sein makelloser Umgang mit der deutschen Sprache. Mit der „Wortewelt“ ist eine Persönlichkeit angesprochen, der das Geistige nie bloß Dekoration der Macht ist oder relevanzfreie Wellnesszone. Richard von Weizsäcker verkörpert vielmehr eine untrennbare Einheit aus Kultur und Politik, die schon deshalb so schwer Nachahmer findet, weil sie die Bereitschaft voraussetzt, Machtverhältnisse nicht zum alleinigen Maßstab der Politik zu erheben.
Nichts von dem verkrampften Verhältnis zur Kultur, das so viele Mächtige an den Tag legen (vor allem dann, wenn die Kultur auch noch aufmüpfig wird), ist bei Weizsäcker anzutreffen. Er interessiert sich lebhaft für Literatur, Musik, Kunst – und auch für die Menschen, die sie hervorbringen. Wer ihn auf Buchmessen erlebt im Gespräch mit Verlegern, Schriftstellern, Intellektuellen, der kann gar nicht übersehen, dass er sich in solcher Gesellschaft wohl fühlt.
Dass er seit rund vierzig Jahren ohne Unterbrechung an der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels teilnimmt, ob mit Amt oder ohne, ist bezeichnend. Für ihn ist der Friedenspreis kein politischer Pflichttermin, sondern ein intellektuelles Vergnügen. Der Mann der „Wortewelt“ ist ein bekennender Büchermensch, und die Herzen der Buchhändler fliegen ihm schon allein deshalb zu, weil er einer immer rarer werdenden Spezies angehört – der des belesenen Politikers. Der Börsenverein hat deshalb recht daran getan, ihm 2009 den erstmals vergebenen Preis „Förderer des Buches“ zu verleihen.
In der Reihe „Die Deutschen und ihre Nachbarn“, die der Altbundespräsident gemeinsam mit seinem Freund Helmut Schmidt herausgibt, war er es, der stets besonders nachdrücklichen Wert darauf legte, dass die historische Dimension unserer nachbarschaftlichen Beziehungen in den Bänden nicht zu kurz gerät. Dass gute Politik nicht ohne ein klares Bewusstsein der Vergangenheit gestaltet werden kann, Vertrautheit mit der Geschichte also unabdingbar, ja nachgerade ein Gebot der Humanität ist, gehört zu seinen festen Überzeugungen. Das gilt nicht nur für unser Verhältnis zu den Nachbarländern, die – wie das ihm besonders am Herzen liegende Polen – von deutscher Hand im 20. Jahrhundert unermessliches Leid erfahren haben. Es gilt natürlich auch für unser Verhältnis zu unserer eigenen Geschichte.
Dass die deutsche Einheit für Weizsäcker immer eine „Herzenssache“ (Helmut Schmidt) war und es ihm als Staatsoberhaupt so erstaunlich leicht gelungen ist, den tief verunsicherten Bürgern der neuen Bundesländer die Gewissheit zu geben, dass er auch ihr Präsident ist, mag mit diesem wachen historischen Blick zu tun haben. Er hat jedenfalls nicht nur entschiedener als andere das ausschlaggebende Verdienst an der Vereinigung den mutigen Bürgern der DDR zuerkannt und zugleich sein Missfallen gegenüber westdeutschen Überlegenheitsposen zum Ausdruck gebracht. Bis hin zu den bewegenden Kapiteln in „Der Weg zur Einheit“ hat er auch immer wieder betont, dass die innere Einheit nur dann gelingen kann, wenn wir lernen, uns auch in der Geschichte zu vereinigen. In diesem Bewusstsein um eine lange gemeinsame Geschichte, die mehr Verbindendes als Trennendes enthält, ist er immer noch vielen Deutschen voraus.
Kein Wunder, dass er bewundert und verehrt wird. Was wahre Popularität ist, durfte ich bei Gelegenheit unserer Exkursionen zum Italiener um die Ecke ebenfalls beobachten. Ich kann mich an keine Pasta No. 37 erinnern, die nicht begleitet war von Bitten um ein Autogramm, ein Photo oder von Zurufen wie „Wir wollten Ihnen schon immer mal sagen, was für ein toller Bundespräsident Sie waren!“ Die Menschen mögen Richard von Weizsäcker, und das Schöne ist, er mag sie offensichtlich auch. Er hat ein verbindliches Wort, erkundigt sich, plaudert ein wenig, und doch käme niemand deshalb auf die Idee, sich mit ihm gemein zu machen. Er macht es einem leicht, beeindruckt zu sein, und fast hat man den Eindruck, dass die Menschen ihm dankbar dafür sind, dass es noch einen Politiker gibt, vor dem sie wirklich Respekt haben.
* Gunter Hofmann, Richard von Weizsäcker. Ein deutsches Leben, München: C.H.Beck ²2010