Buchtipp

Zwischen Wurzeln und Wollen

24. April 2008
von Börsenblatt
Die junge Jüdin Jessica lebt mit ihrem Vater Shylock im alten Venedig zur Zeit der „Ghettos“ im 16. Jahrhundert. Immer wieder sieht sie sich einem Konflikt ausgesetzt, der letztlich ihr Leben entscheidend prägt: Soll sie Altes brechen und zum Christentum konvertieren?
Als Jüdin ist Jessica manches verwehrt. So schickt es sich als bescheidene Gläubige nicht, mit einem Strauß Blumen herumzulaufen oder rauschende Feste zu feiern. Es sind aber gerade solche Besonderheiten und Exklusivitäten, die für sie ein genussvolles Leben ausmachen. Nur allzu gern entflieht sie dem Ghetto, um schillernde Abend im prunkvollen Haus ihrer christlichen Freundin zu verbringen. Nichtsdestotrotz: Der Liebe zu ihrem Vater tut das keinen Abbruch, auch wenn sie seine Lebensgestaltung und Meinungen nicht ganz teilt. Für Shylock – bekannt aus Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ – bedeutet seine Tochter alles und insgeheim möchte er sie nicht verheiraten. Um so erschütternder für ihn, als er erfahren muss, dass Jessica mit dem jungen Christen Lorenzo liebäugelt. Gegen den Willen Shylocks, hingerissen zwischen jüdischer Tradition und eigenem Verlangen, beschließt Jessica Lorenzo zu heiraten, zum Christentum überzutreten und die vermeintlich wundervollen Dinge auszuleben, dir ihr vorher verwehrt blieben. Doch jede Medaille hat zwei Seiten: Zwar liebt sie ihren Mann, doch der Verlust ihrer Herkunft und ihr schlechtes Gewissen lassen sie einfach nicht glücklich werden. Autorin Mirjam Pressler schafft es, nach Beltz & Gelberg’scher Manier eine wunderbar verständliche und moderne Atmosphäre zu schaffen. Durch eine dem jungen Leser angepasste Sprache und detaillierte Hintergrundinformation lässt sie das alte Venedig wiederauferstehen. Der Leser fühlt sich hineingezogen in eine historische Zeit, personifiziert durch die Protagonistin Jessica. Anhand dieser Figur und Presslers anschaulichen Beschreibungen lässt sich Leben und Leiden der Juden in Venedigs Ghettos sehr gut nachvollziehen. Ein Register am Ende des Buches erklärt wichtige Begriffe des Judentums wie z.B. „Kaddisch“ (Heiligkeitsgebet) und bringt somit auch einem Laien die jüdische Lebensweise näher. Die Geschichte regt zum Nachdenken über eine alte Zeit an, mitunter darüber wie alt diese wirklich ist und inwiefern sie nicht auch als Parabel für die heutige Moderne gelten könnte. Ein zeitloser Roman also, der dem Leser einen Vater-Tochter-Konflikt schildert, bedingt durch äußere Einflüsse und Tradition im 16. Jahrhundert und nicht zuletzt – durch das damalige Zusammenleben der Juden und Christen. Mirjam Pressler: Shylocks Tocher. Beltz & Gelberg 2008, 367 S., 16,90 Euro. Mehr Buchtipps finden Sie hier!