Wie ist die wirtschaftliche Situation bei Wunderhorn?
Für uns ist der Käuferrückgang auch spürbar. Es kommt hinzu, dass wir vergangenes Jahr an die VG Wort und die VG Bild-Kunst erhebliche Beträge zurückzahlen mussten. Das ist eine unglückliche Koinzidenz, die sich in ihren Auswirkungen stark bemerkbar macht. Es galt für uns schon immer, dass die Autoren und Literaturen, die wir verlegen, auf der Seite unserer Leser große Neugier und Offenheit voraussetzen. Die Durchsetzung unserer Bücher am Markt war noch nie einfach.
Der Lesermarkt der Neugierigen und Aufgeschlossenen, die sich noch gern anstrengen – ist der ähnlich rückläufig wie zuletzt der Gesamtmarkt?
Auch unser Markt wird in der Tendenz kleiner. Und wir Independents sind einfach verwundbarer. Das bemerke ich immer auf den Independent-Buchmessen, sei es in den Literaturhäusern München und Stuttgart, sei es in Bad Mergentheim oder im LCB am Wannsee: Dorthin kommt ja unser Publikum, das unsere Bücher im Buchhandel nicht mehr oder jedenfalls nicht in der gewünschten großen Auswahl findet. Aber diese Messen zeigen auch, gerade wenn du solche Programme machst wie wir bei Wunderhorn: Man muss heute enorm viel dafür tun, um Leser zu gewinnen.
Ihr Verlag wurde in diesem Sommer 40 Jahre alt. Wie schätzen Sie Ihre Aussichten auf weitere Jubiläen ein?
Es gab immer dieses Auf und Ab der Branche. Aber die jüngsten Veränderungen am Lesermarkt haben für mich eine neue Qualität: Jetzt brennt allen der Kittel. Wenn es uns in den nächsten Monaten nicht gelingt, den Diskurs darüber, was mit dem Kulturgut Buch gerade passiert, mitten in die Gesellschaft zu bringen, dann sehe ich dieses Kulturgut und alle, die noch mit ihm handeln, als absolut gefährdet an.
Was sollte ein solcher Diskurs denn verhandeln?
Er muss schlicht die Frage beantworten: Was ist uns als Gesellschaft das Kulturgut Buch noch wert? Wollen wir diese Bücher eigentlich noch haben? Da sind nicht nur wir als Verlage, als Branche, als Interessenverbände gefragt, sondern ganz vorrangig muss sich auch die Politik bekennen.
Der Lektor Konstantin Götschel vertritt die These, dass der Branche infolge ihrer stark ökonomischen Selbstinszenierung bald kein Mensch mehr das »Narrativ vom Kulturgut Buch« glaubt. Stimmen Sie ihm zu?
Absolut! Es läuft bei uns doch gerade auf ein Inseldasein mit dem Kulturgut Buch hinaus. Die Diskussionen gehen nicht mehr in die Tiefe. Die Politik fördert die großen Formate, die Events und die Festspiele. Aber warum kommen aus der Politik keine Initiativen, um den Diskurs zu unterstützen, über den ich hier rede?
Wie würde für Sie wirksame politische Unterstützung aussehen?
Wir brauchen neue Graswurzelbewegungen. Das ist zwar eine Idee aus den frühen 70er Jahren, aber die Zeit ist ein zweites Mal reif dafür. So wie es mit den alternativkulturellen Bewegungen passierte, die von der Basis kamen, so muss es jetzt laufen für das Buch. Diese Bewegung muss alte Wertschätzung für Literatur neu einspeisen in den Diskurs der Gesellschaft.
Diese Basisbewegungen von damals hatten aber viel mit Jugend und Aufbruch zu tun. Wie wollen Sie heute die Jugend fürs Buch mobilisieren?
Wir brauchen ein großes Bündnis, Schulen und Universitäten müssen da mitmachen. Als Einzelkämpfer sind wir auf verlorenem Posten. Das Moderne an einer neuen Graswurzelbewegung wäre, dass sie sich nicht gegen die Politik wendet, sondern dass sie versucht, das politische Establishment zum Engagement anzustiften.
Und wie formen wir konkret diese große Allianz?
Es geht um einen umfassenden, spartenübergreifenden, mutigen, nationalen und internationalen Diskurs mit allen, die noch der Meinung sind, dass am Anfang das Wort war und das Buch ein unerlässliches Kulturgut ist. Da sind alle Interessenverbände gefragt, da muss die Politik verpflichtet werden, die öffentlich-rechtlichen Medien, die Universitäten, die Kulturministerien etc. Es ist an der Zeit, im 21. Jahrhundert das Buch, das Lesen und die damit verbundene Pflege unserer Synapsen für eine Vielheit der Sprachen und Literaturen in den Mittelpunkt einer neuen Avantgarde-Bewegung zu stellen.
Dieser Artikel ist zuerst in der Börsenblatt-Ausgabe 43/2018 erschienen!