Der Fußballbuch-Tipp von Karin Plötz

Volltreffer für "Dany le rouge"

8. Mai 2020
Redaktion Börsenblatt
Einmal im Monat stellt LitCam-Direktorin Karin Plötz in ihrer Kolumne ein neueres Fußball-Buch vor. Heute die Autobiografie des Publizisten, Politikers und 68er-Ikone Daniel Cohn-Bendit, für den die Begeisterung zum Fußball immer dazu gehörte.

Die Politik hat entschieden: Der Bundesliga-Fußball darf wieder rollen – aber nur ohne Publikum. Die ersten "Geisterspiele" finden am 16. Mai statt. "Fußball und Politik" ist auch das Thema der persönlichen Geschichte des Vollblutpolitikers Daniel Cohn-Bendit, den älteren Leser*innen sicher auch noch bekannt als "Dany le rouge". "Mein Engagement, meine Brüche, meine doppelte Kultur, meine Freundschaften – letztlich hat dass alles dazu beigetragen, das sich die Geschichte meines Lebens und ein Teil der Fußballgeschichte miteinander verbinden", schreibt Cohn-Bendit.

So erzählt der 75-Jährige über seine Kindheit in Frankreich und von seinen ersten Besuchen im Pariser Stadion "Parc de Princes". Seine Lieblingslektüre war damals schon die einzige französische Sportzeitung L'Équipe. 1958 zog Daniel Cohn-Bendit nach Frankfurt am Main. Dort blieb ihm vor allem das Finalspiel der Eintracht Frankfurt 1960 in Glasgow gegen Real Madrid in Erinnerung. Erst zehn Jahre später wurde Cohn-Bendit auch zum Eintracht-Fan.

Geistreich verbindet er politisches Geschehen mit Fußballereignissen, so zum Beispiel die Verhältnisse in Brasilien in den 70er Jahren und seine Bekanntschaft mit Sócrates, dem brasilianischen Fußball-Idol, Kinderarzt und Sozialaktivist, über den er 2014 seinen Roadmovie "On the road with Sócrates" drehte. Europa nimmt beim Europapolitiker Cohn-Bendit ein besonderes Kapitel ein. Mit der Idee und der Durchführung des "Europapokals der Nationen" hielt der europäische Gedanke auch beim Fußball Einzug.

Mit viel Wortwitz geht Cohn-Bendit auf das Thema Gleichberechtigung und Frauenfußball ein. Allein die Beschreibung, vor welchem Hintergrund die Begeisterung für Frauenfußball bei ihm entstand, ist wahrlich unvergleichlich: "Damals, Anfang der 80er Jahre, lebte ich in einer Wohngemeinschaft in Frankfurt, unter anderem mit einem achtjährigen Mädchen, dessen vermuteter Vater ein Freund von mir war. Dreißig Jahre später erfuhr ich, dass Mascha meine Tochter war. Die Kleine spielte am Wochenende immer Fußball...".

Seine persönlichen Betrachtungen über verschiedenste Fußballspieler und Fußballspielerinnen sowie Vereine, seine Begeisterung für Frauenfußball und die Eintracht Frankfurt sowie seine Freude über den Sieg der französischen Nationalmannschaft bei der WM 2018 mischen sich mit der Beschreibung des politischen und gesellschaftlichen Geschehen. Fußball ist für Daniel Cohn-Bendit ein Spiegel der Gesellschaft und des Lebens.

Meine anfängliche Skepsis, dass "Fußball und Politik" ein sehr intellektuelles, eher politisches Buch sei, wich direkt nach dem Lesen der ersten Seiten der Begeisterung über die Geschichten, die in vollem Tempo verschiedenste Themen behandeln. Und bei denen Fußball immer eine Rolle spielt. Damit hat Daniel Cohn-Bendit einen Volltreffer gelandet! 

Bibliografie

Daniel Cohn-Bendit:
"Unter den Stollen der Strand. Fußball und Politik – mein Leben"
Kiepenheuer & Witsch
272 S., 22 Euro
ISBN 978-3-462-05263-3