"Traumreise nach Venedig!", "Die Strände in Florida genießen!", "Habt Spaß in Berlins Discotheken!": Wie im falschen Film kommt man sich derzeit vor, wenn für Flugreisen, Kreuzfahrten, gesellige Tanzabende etc. geworben wird. Alles Aktivitäten, die im Moment nicht möglich sind. So schnell scheint die Werbung nicht zu switchen. Anders die Buchverlage, die machen es umgekehrt: Sie sind unglaublich einfallsreich, ihre Novitäten und Backlisttitel als hochaktuell anzupreisen, als "Die Bücher der Stunde".
Da ist offenbar keine Brücke zu schmal oder zu wackelig, um einen Bezug zu Corona herzustellen. Wenn jetzt alle zuhause bleiben müssen und die Baumärkte geöffnet bleiben: Ist es nicht an der Zeit, endlich das Wohnzimmer zu verändern mit Ratgebern zu Farbwahl, Tapezier- und Streichtipps? Aber halt: So eng aufeinander, das sorgt für ordentliches Streitpotenzial in der Familie - und schon werden wärmstens Bücher zu Konfliktmanagement und Stresstests empfohlen. Das noch nicht so recht eingeübte Aufeinandertreffen in der Wohnung sorgt bei Paaren für Reibungsverluste ("Was machst du denn hier?" - "Ich wohne hier!" - "Aber doch nicht um diese Zeit!" (Loriot)) – weshalb Verlage uns Redakteuren unverzüglich raten, Bücher über Wie-Paare-wirklich-glücklich-werden zu prüfen. Ebenso natürlich Kochen zu zweit, Achtsamkeit, Sinnfindung in Krisenzeiten und Gärtnern auf dem Balkon.
Selbst wenn in einem Buch über die Funktionen des Körpers nur eine Seite über Bakterien und Viren steht: Macht nichts, das Buch ist selbstredend unverzichtbar in Corona-Zeiten. Ratgeber, Erklärstücke, Koch- und Gebetbücher, Kindercomics zur Beschäftigung, Lernhilfen, um nicht in Rückstand zu geraten - da dürfen Romane nicht fehlen. Mit diesem wundervollen Roman sich aus den eigenen vier Wänden wegträumen, jene exotische Settings auf 240 Seiten erleben, von diesen Spannungsmomenten im Minutentakt gefesselt sein - alles zahlt auf die Krise ein, alles sind Bücher der Stunde ... Da ist der Hinweis auf einen Bildband zu fantastischen Top-Destinationen fast schon erwartbar.
Es ist faszinierend, wie findig Pressesprecher und Marketingmanager sind, Mikro-Inhalte aus einem Buch zu bemühen, um einen Bezug zur unwiderruflichen Nützlichkeit in diesen Zeiten herzustellen. Falls es eines Beweises bedurft hätte, dass die Buchbranche der effizienteste und fantasievollste Teil der Kreativwirtschaft ist: Hier ist er erbracht.
