Unter dem Titel "Apropos of Nothing" sollte die Autobiographie des Regisseurs Woody Allen am 7. April in Amerika erscheinen. Über Twitter teilte die Hachette Book Group mit, man werde die Rechte an den Autor zurückgeben. Rowohlt plant laut aktuellem Stand unter dem Namen "Ganz nebenbei" weiterhin mit der Veröffentlichung des Buches am 7. April.
Update, 19 Uhr: Eine Verlagssprecherin erklärt auf Anfrage: "Derzeit klären wir, wie die anderen europäischen Verlage, die Rechte-Situation, daher ist noch nicht klar, ob wir den Erscheinungstermin 7. April werden halten können." Eine deutsche Ausgabe wolle man bringen, versichtert die Sprecherin.
Grund für den Produktionsstopp sind die Mitarbeiterproteste des amerikanischen Verlags Hachette. Dutzende Mitarbeiter der Hachette Verlagsgruppe haben in New York und Boston ihre Arbeit niedergelegt, um sich mit Allens Kindern Ronan und Dylan Farrow zu solidarisieren. Diese haben sich bereits in der vergangenen Woche auf Twitter öffentlich gegen die Autobiographie ausgesprochen.
Die ersten Missbrauchsvorwürfe gegenüber Woody Allen wurden 1992 nach der Trennung von Allen und der Schauspielerin Mia Farrow laut. Die Adoptivtochter Dylan Farrow wirft Allen vor, sich in ihrer Kindheit an ihr vergangen zu haben.
Am Sonntag, den 8. März hatten auch 16 Rowohlt-Autor*innen, darunter Sascha Lobo, Till Raether und Kathrin Passig, in einem Offenen Brief (veröffentlicht bei 54 Books) an ihren Verlag, diesen aufgefordert, von einer Veröffentlichung der Autobiographie Woody Allens abzusehen. Man sei "enttäuscht", dass Rowohlt an der Entscheidung festhalte, den Titel zu veröffentlichen. "Das Buch eines Mannes, der sich nie überzeugend mit den Vorwürfen seiner Tochter auseinandergesetzt hat, und der öffentliche Auseinandersetzungen über sexualisierte Gewalt als Hexenjagd heruntergespielt hat, sollte keinen Platz in einem Verlag haben, für den wir gerne und mit großem Engagement schreiben", so die Autor*innen. Ronan Farrow, der Bruder von Dylan Farrow, habe sich nachdrücklich gegen die Veröffentlichung bei Hachette ausgesprochen, wo auch seine eigenen Bücher erschienen sind. Rowohlt habe die Bücher von Ronan Farrow auf Deutsch veröffentlicht und sei damit in derselben Situation wie Hachette. Aber es gehe nicht darum, die Veröffentlichung grundsätzlich zu unterbinden, so die Autor*innen. "Allen mangelt es nicht an Möglichkeiten, sich mitzuteilen. Aber der Rowohlt Verlag muss ihn darin nicht unterstützen."
"Wir sind mit unseren Autorinnen und Autoren im direkten Austausch", kommentiert Rowohlt den Offenen Brief.
Ich fürchte, so lange nicht der Chefredakteur Casimir einen gepfefferten Kommentar ins Blatt hebt, der dann auch in Dortmund wahrgenommen und nach Hamburg übermittelt wird, können wir uns hier die Finger wund schreiben. Aber noch viel mehr vermisse ich ein Statement unserer Vorsteherin, da wäre die Kombination Frau/Verlegerin mal richtig glaubwürdigkeitsverstärkend....
Und Ihr Gedanke/Vorschlag … wie ich den Laden kenne, kommt da noch was.
Also der Meinung der Meute auf der einen und die von der Justiz angestellte Unschuldsvermutung auf der anderen Seite.
Das Recht als eigenständige und unabhängige Macht zwingt uns, die "innere Bestie" zu besiegen. Eben nicht selbst und vom Hörensagen zu urteilen, sondern – "audiatur et altera pars" – immer beide Seiten zu hören und solange kein Urteil gefällt ist vom Guten im Menschen auszugehen, ausgehen zu müssen.
Nicht vorzuverurteilen, sondern der blinden Justitia mit den beiden Waagschalen zu vertrauen.
Rechtsprechung geht eben nicht vom Volk aus und erst recht nicht von denen, die am Lautesten rufen. Das ist eine Errungenschaft und es ist eine Herausforderung an uns Bürger. Denn diese Errungenschaft zwingt uns, uns zurückzuhalten. Die Rechtsprechung klar definierten Prozessen zu unterstellen. Und unabhängigen Gerichten und Richter*innen. So weit die Theorie.
De Facto beherrschen wir uns oft nicht. Urteilen oft eben doch. Vorschnell und ohne die andere Seite gehört zu haben.
Dann passiert es, dass ein Mann, dem seine Ex-Partnerin sexuellen Missbrauch vorwirft erlebt, dass sein Verlag nicht mehr sein Verlag ist, ohne dass er je angeklagt, geschweige denn verurteilt wurde. Er erlebt Ruf-Mord. Und irgendwie auch einen Maulkorb.
Ein anderer Mann, dem sexueller Missbrauch vorgeworfen wird, erlebt gerade das Gegenteil: er erfährt weltweit Unterstützung, Julian Assange. In seinem Fall "wissen wir", dass die Missbrauchsvorwürfe amerikanische Macht-Machenschaften sind. In Woody Allans Fall "wissen wir", dass man seine Autobiografie nicht verlegen "darf".
Ich finde das brandgefährlich, denn wir unterminieren nicht weniger als die Grundlagen der Rechtsstaatlichkeit mit beidem: Vorverurteilung und idealistischer In-Schutz-Nahme.
Ich liebe das Netz und seine Lebendigkeit, ich mag die basisdemokratischen Errungenschaften der Digitalisierung. Jede und jeder kann im Netz ihre und seine Meinung sagen. Das ist gut. Seriöse Journalist*innen lernen in ihrer Berufsausbildung Quellenstudium und Verantwortung im Sinne des Pressegesetzes, sie diskutieren Persönlichkeitsrechte und auch, was es heißt, Rechenschaft für das Gesagte oder Geschriebene zu übernehmen. Das vermisse ich in dieser aufgeheizten Debatte. Und das steht unserer Branche nicht gut zu Gesicht.
Ihre Einlassungen in allen Ehren und teilweise unterschrieben: Aber angesichts undurchschaubarer Algorithmen einiger Global Player von den „basisdemokratischen Errungenschaften der Digitalisierung” zu schwärmen, dies halte ich schon für eine extrem steile These...
Jens Bartsch - Buchhandlung Goltsteinstraße in Köln
Die "Glaubwürdigkeitsverstärkung" durch das Statement der Vorsteherin haben Sie bekommen. Mein "gepfefferter Kommentar" steht noch aus. Hier ist er (nicht):
Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mit Ihrer Frage ganz oben im Kommentarverlauf eine vernünftige, wichtige Diskussion angestoßen haben. In der Sache bin ich im großen Ganzen Ihrer Ansicht, überdies auch der von Jo Glanville, Mirjam Glaser, Stefan Daltrop, Karin Schmidt-Friderichs, Edo Reents, Peter Truschner und zahlreicher weiterer Diskutanten, die an diesem Ort und anderswo für eine Veröffentlichung der Allen-Autobiografie argumentieren. Ich bin froh, dass viele mal nach einer Begründungspflicht auch für Protestler rufen. Mich beruhigt es, dass die Debatte seit Tagen in Richtung Zweifel und Skepsis dreht. Hoffentlich kriegt Rowohlt die Rechteklärung bald hin und kann das Buch, wie geplant, zum 7. April ausliefern. Der Satz "Wir haben keinen Grund, an den Aussagen von Woody Allens Tochter Dylan Farrow zu zweifeln" aus dem Offenen Brief von Rowohlt-Autor*innen an ihren Verlag wirft auf die Verfasser kein gutes Licht. Dem schwierigen Kampf gegen sexuelle Gewalt erweisen die Vorgänge, wie sie sich bei Hachette zugetragen haben, einen Bärendienst.
Aber weil all das von so vielen zum Glück schon gesagt ist, müssen Sie, lieber Herr Borsche, auf meinen gepfefferten Kommentar diesmal verzichten.
Zitat: "Der Satz "Wir haben keinen Grund, an den Aussagen von Woody Allens Tochter Dylan Farrow zu zweifeln" aus dem Offenen Brief von Rowohlt-Autor*innen an ihren Verlag wirft auf die Verfasser kein gutes Licht. Dem schwierigen Kampf gegen sexuelle Gewalt erweisen die Vorgänge, wie sie sich bei Hachette zugetragen haben, einen Bärendienst."
Das ist genau so griffig und gut formuliert, wie man das von Ihnen gewohnt ist. Es wird aber Frau Stokowski et.al. im SPIEGEL nicht erreichen - bei einem offiziellen Leitkommentar im BBL wäre das anders, genauso wie bei einer "offiziellen", sprich presseöffentlichen Stellungnahme der Vorsteherin bzw. der ganzen Vorstands. Man könnte und sollte Rowohlt, pars pro toto, also stellvertetend für alle Verlage ganz öffentlich den Rücken stärken. Warum sich das aber hier im Hinterzimmer der Kommentarfunktion abspielen muss, ist mir unverständlich. Denn in der Leserkommentarspalte des SPIEGEL wird ja schon ganz anders geholzt, da schrieb gestern ein gewisser Mike:
>> Klasse Rowohlt! Das Buch hat sowieso keine Neuigkeiten diesbezüglich zu vermelden - Allen sagt seit 28 Jahren das gleiche und seine "Schuld" wird nur diskutiert, weil die Leut' zu faul zum recherchieren sind und Mias Sohn, genau wie seine Mutter, aus allen Rohren schießt. Es gab' nie den kleinsten Beweis. Drei Gutachter ließen es nicht mal zur Anklage kommen. Drei ihrer Kinder haben ausführlich berichtet, was für eine seltsame Mutter sie ihren Kindern war (zwei haben sich umgebracht, ein drittes starb verarmt an Heroin.). Und eher selber kein Kind von Traurigkeit. Man wirft Allen vor, mit der viel jüngeren Soon-Yi eine Affäre gehabt zu haben? Und dass Mia den 30 Jahre älteren Sinatra geheiratet hatte... davon hört man nie in diesen einseitigen Kommentaren. Oder dass sie die Ehe ihrer besten Freundin zerstört hatte, weil sie mit deren Mann ein Kind bekam... Alles so Geschichten. Allen hat sich nie in seinem Leben was zuschulden kommen lassen (und ist wohl der einzige "MeToo" Fall mit einem einzigen "Opfer", in 30 Jahren! Es soll passiert sein, als ein halbes Dutzend Leut im Haus war, wie glaubwürdig. Egal, hauptsache das Buch kommt. Wer es deswegen kauft oder nicht kauft hat eh keine Ahnung von seiner Kunst. <<
Vielleicht etwas heftig im Ton, aber mit der Gegenüberstellung von Fakten (z.B. Altersunterschied Woody Allen / Soon-Yi Previn und Frank Sinatra /Mia Farrow) und Narrativen bzw. deren Glaubwürdigkeit (und Sie, lieber Torsten Casimir, könnten das noch viel besser, vor allem neutraler und unangreifbarer, so wie oben demonstriert ;-) schon ein Schritt in die richtige Richtung.
Es ist mir absolut schleierhaft, warum die Mehrhheit der Presse das Farrow-Narrativ seit Jahrzehnten so beharrlich weiterverbreitet, gerne noch garniert mit falschen Behauptungen, wie z.B. Allen habe seine "Stieftochter" geheiratet (er war nie mit Farrow verheiratet, sie ist weder seien Stief- noch Adoptiv-Tochter) etc.pp. Es wäre doch die Aufgabe einer seriösen Presse (und das möchte der SPIEGEL doch nach Relotius so gerne wieder werden?), solche Fälle so ausgewogen und ausführlich darzustellen, daß sich die Leserin ein klares Bild machen kann?
Wer glaubt daß Allen schuldig sei, möge den beiden angegebenen Links ( http://www.t1p.de/j93x und http://www.t1p.de/yyrp ) folgen und gerne recherchieren, was er der Wucht dieser Argumente und Fakten entgegen setzen kann, Links dazu findet man im Wikipedia-Artikel zu Woody Allen. Ich jedenfalls habe nichts Glaubwürdigeres gefunden als die genauen und leider sehr schmerzlichen Schilderungen des heutigen Familientherapeuten (sic!) Moses Farrow. Alle gegenteiligen Einlassungen von Dylan Farrow bzw Journalistinnen zu diesem Fall machen dagegen auf mich einen argumentativ schwachen resp. konstruierten Eindruck.
Nochmals betont: alle müssen Ronan Farrow dankbar sein, daß er gegen sehr viele Widerstände den Fall Weinstein ins Rollen gebracht hat. Aber das bedeutet nichts für die Glaubwürdigkeit des damals 4-Jährigen gegenüber den präzisen und plausiblen Schilderungen seines damals 15-Jährigen Bruders in diesem Fall.
Last-not-least: es kann nicht darum gehen, einen "Täter" zu schützen oder zu entschuldigen. Neulich hat mir eine starke Frau über ihren Vater bwz. ihre "Lehre" in seiner Buchhandlung ganz nebenbei gesagt, ja, das sei schon ein teilweise cholerischer Mann gewesen, ihm sei gerne mal "die Hand ausgerutscht". Ganz ohne Zweifel hat er viel für sie getan, und ganz sicher liebt sie ihn auf ihre Art, aber dieses diminuitive "Hand ausgerutscht" für das Prügeln einer jungen Erwachsenen hat mich ehrlich gesagt stark irritiert. Ein Freund meiner Eltern, von Beruf Pfarrer, hat seine Kinder mit dem Gürtel geprügelt, den Ältesten lezttlich bis nach Japan, die jüngste, in meinem Alter, vor meinen Augen, da waren wir vielleicht 7 Jahre alt und hatten ein paar Salzstengel gemopst. Die Szene ist mir heute noch vor Augen und ich könnte das kleine Arbeitszimmer genau beschreiben, und den Schein des kleinen Nachtlichts über dem Bett, auf dem er saß, meine Freundin übers Knie gelegt, ihr Gesäß entblöst, als diese Demütigung stattgefunden hat, ich weiß woran man sich genauestens erinnern kann.
Wir sind mit solchen Dingen viel zu lange viel zu unsensibel umgegangen, haben die Opfer nicht ernstgenommen, die Täter exkulpiert. Und uns einer Sprache bedient, die vollkommen inadequat war, wie "Hand ausgerutscht", deshalb habe ich oben nicht "Züchtigung" geschrieben, da schwingt noch zu viel Rechtfertigung der Tat mit. Aber genau deshalb, gerade weil wir uns bemühen müssen jahrhunderte-, nein, jahrtausendelanges Unrecht aufzuarbeiten, dürfen wir dabei nicht Unschuldige als Kollateralschäden akzeptieren.