Susan Whitfield ist Forscherin und Kuratorin, Dozentin und (Wüsten-)Reisende und kennt sich mit den Seidenstraßen bestens aus. Grundlage für den aktuellen Band „Die Seidenstraße. Landschaften und Geschichte“ - auf deutsch erschienen im Theiss Verlag - war eine Ausstellung in London.
Mehr als 500 Fotos und Illustrationen auf 480 großformatigen Seiten erwecken die zentralasiatischen Landschaften zum Leben. Der Clou ist die Ordnung der Kapital in Landschaften: Steppe, Berge und Hochland, Wüste und Oasen, Flüsse und Ebenen, Meere und Himmel geben den Takt für die Streifzüge des Lesers vor.
Von der frühen Domestizierung der Pferde durch die Turkvölker zu den Kamelkarawanen in der Wüste Gobi, von der Seidenproduktion hinein in die Bergwerke: Hier gibt es hier unerhört viel zu entdecken und zu lernen, etwa über die 2000 Jahre dauernde Verbreitung der Papierproduktion von China über die Arabischen Reiche bis nach Europa, den Handel mit Seiden, Porzellan und die Verbreitung von Religionen, Sprachen und Kulturtechniken.
Wie im Bestseller „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“ können interessierte Leser*innen von Objekt zu Objekt springen (etwa zu einem verzierten Kameldolch aus der pontischen Steppe oder Reiterplastiken aus Stein aus der vorchristlichen Zeit) ohne gleich von Textmengen erschlagen zu werden. Eigene Kapitel widmen sich den Weltbildern, die in Form von Karten zum Teil über Jahrhunderte überliefert und verwendet wurden – immer wieder werden auch Archäologen und Forscherinnen samt ihrer Expeditionen vorgestellt.
Trotz überbordender Detailfülle gelingt es Whitfield, die gewaltigen Dimensionen der beinahe unermesslichen Räume und Weiten der Seidenstraßen darzustellen, die immer gleichbleibenden Herausforderungen, die die extremen Landschaften an Reisende und Völker stellten. Es schwirrt der Kopf wenn Funde wie Wikingerschwerter etwas über den eurasischen Stahlhandel im Mittelalter verraten, wenn über die Lehren der Manichäer und die Erfindung des asketischen Klosterlebens bei Buddhisten und Frühkopten in einem Atemzug referiert wird.
Je nach Temperament und Erwartungshaltung mögen die Leser*innen monieren, dass manche Sprünge vom antiken Rom nach Baghdad, vom Sinai nach Theben oder ins indische Junnar oder dzu wild sind, Bögen über die Jahrtausende zu steil ausfallen oder der Stoff schier zu überbordend ist und Ordnung vermissen lässt. Kann man sich aber darauf einstellen, dass die roten Fäden hier nicht in Form von vermeintlich bedeutenden Namen von Reichen oder Königen verlaufen, dem Sinn vermeintlicher Chronologien und Kausalitäten, sondern über Aspekte wie Kulturpraktiken wie Begräbnisriten, Bewässerungstechniken und die Kaftanproduktion, dann kann das Buch so bereichernd sein wie Spaziergänge durch ein gewaltiges Museum. Wer wollte schon bei einem einzigen Besuch alles in sich aufnehmen, was es hier zu sehen gibt?
Expeditionen des Wissens:
Susan Whitfield (Hg.): Die Seidenstraße. Landschaften und Geschichte, wbg Theiss, 480 S., 50 Euro