Interview mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen

"In einem wirklichen Dialog beginnt die Wahrheit zu zweit"

12. Februar 2020
Redaktion Börsenblatt
Gibt es einen Ausweg aus der Polarisierungsfalle? Wie kann man deeskalieren und dem Dialog wieder eine Chance geben? Antworten von Bernhard Pörksen, der gemeinsam mit dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun das Buch "Die Kunst des Miteinander-Redens" verfasst hat.      

Die digitale Öffentlichkeit hat einen kommunikativen Klimawandel ausgelöst, der durch Polarisierung, Echtzeit-Eskalation und scheinbar unversöhnliche Extrempositionen gekennzeichnet ist. Wie kann man als Demokrat einen Dialog eröffnen, wenn man es auf der Gegenseite, etwa bei Rechtsextremen oder Antifa-Aktivisten, mit erklärten Dialogverweigerern zu tun hat?
Das ist die 1-Millionen-Euro-Frage unserer Kommunikationszukunft – und manchmal muss die Antwort schlicht und einfach lauten: Ein Dialog, der diesen Namen verdient, ist nicht möglich. Denn damit er gelingt, braucht es ein Minimum an Wertschätzung, Fairness, den Abschied von großen und kleinen Ideologien, die das dialogische Miteinander ruinieren können.

Und wie findet man heraus, ob man selbst wirklich in ein Gespräch einsteigen will?
Es lohnt sich, zwischen Verstehen, Verständnis und Einverständnis zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ermöglicht eine Art Dreistufen-Test zur Überprüfung eigener Gesprächsbereitschaft. Verstehen, was der andere sagt, ist unbedingt geboten, immer. Verständnis für seine Motive und Empfindlichkeiten kann man haben – oder eben auch nicht. Und ob man dann einverstanden ist, ist eine offene Frage. Unser Motto: In einem wirklichen Dialog beginnt die Wahrheit zu zweit. Hier muss man von der Annahme ausgehen, dass der andere Recht haben könnte. Die Leitfrage lautet also: Hält man dies ernsthaft für möglich?

Von der Einleitung abgesehen, ist Ihr gemeinsames Buch als Dialog mit dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun angelegt. Gab es Momente, in denen Sie mit Ihrem Gesprächspartner haderten?
Eigentlich nicht, aber wir haben durchaus hitzig diskutiert – wie streng muss man die Dialogvoraussetzungen bestimmen? Wo verlaufen die roten Linien? Wann liefert die Gesprächsanstrengung nur eine Plattform für abseitige, vielleicht auch gefährliche Ansichten? Das waren unsere Streitfragen. Und doch: Auch der respektvoll ausgefochtene Disput ist schon ein Wert an sich, weil wir eben auch nicht irgendeine Weltformel zur Diskursrettung präsentieren, sondern mit unserem Buch Kriterien auf dem Weg zu einer Kunst des Herausfindens liefern wollen. Der Leser kann dann – wenn es gut läuft – seine eigene Position finden.

Wenn es keinen common ground zwischen Kontrahenten gibt, wird Verständigung zum Experiment. Wo stößt der Wille zum Dialog an Grenzen?
Immer dann, wenn es Gewaltdrohungen gibt; wenn sich die eigene Auffassung zum erbittert verfochtenen Dogma verfestigt hat. Immer dann, wenn jemand rassistische und antisemitische Ideen und sich selbst immunisierende Verschwörungstheorien präsentiert. Aber Jenseits des Extrems existiert eine riesige Grauzone; hier muss man ausloten und ausprobieren, was kommunikativ noch gerade so geht, passend zur eigenen Rolle und zur konkreten Situation.

Kann zu viel Empathie mit einer Gegenposition schaden?
In jedem Fall – und zwar in einem doppelten Sinne. Zum einen kann sie den Gesprächspartner verärgern, weil er bemerkt, dass Empathie und Wertschätzung vielleicht nicht ernst gemeint sind, sondern nur dazu dienen, um einen harten Konflikt mit viel Sozialtünche zu überspielen. Und Menschen sind Experten bei der Entlarvung dieser Art von Heuchelei. Zum anderen kann die Empathie – zumal im öffentlichen Raum – auch wie eine Sympathiekundgabe wirken; hier fehlen dann Kritik und Trennschärfe im Gespräch. Deshalb lautet unser Plädoyer: Das Miteinander-Reden braucht beides, die empathische Zuwendung und die Bereitschaft zur klärenden Konfrontation.

Polarisierung, heißt es an einer Stelle, gibt es auch im Individuum selbst. Verschafft dies einem selbst einen kommunikativen Vorteil, oder untergräbt es die eigene Position?
Innere Zerrissenheit ist eher ein Nachteil, es sei denn man kann sie authentisch und nachdenklich kundtun – und auf diese Weise die Sympathie des Publikums gewinnen. Mein Kollege und Mitautor Friedemann Schulz von Thun hat die Zusammenhänge, die hier regieren, zu der erhellenden Formel verdichtet: Wer sich selbst versteht, kommuniziert besser. Das heißt, es gilt sich bewusst zu machen, welche verschiedenen, womöglich unvereinbaren Positionen man vertritt – und zu einer Klärung zu gelan-gen. Die eigene innere Entschiedenheit ist dann auch in der äußeren Kommunikation spürbar.



Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Dieses Interview basiert auf dem am 17. Februar im Hanser-Verlag erscheinenden Buch von Bernhard Pörksen und dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun: »Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik« (224 Seiten, 20 Euro). Die Autoren entwerfen hier eine Ethik des Miteinander-Redens, die Empathie und Wertschätzung mit der Bereitschaft zum Streit und zur klärenden Konfrontation verbindet.



Mehr zum Thema "Neue Wege zum Miteinander" erfahren Sie im Fokus Sachbuch des aktuellen Börsenblatts (7-2020), das am 13.2.2020 erschienen ist.