Lektüretipps gegen die Brexit-Melancholie

Goodbye Britain!

31. Januar 2020
Redaktion Börsenblatt
Wenn das Vereinigte Königreich heute Nacht um null Uhr die EU verlässt, ist das zwar ein Abschied, aber nicht für immer. So traurig der Brexit ist – Scherz, Satire und Ironie sind probate Mittel, um Tragik erst gar nicht aufkommen zu lassen. Vier Romane zeigen, wie es geht.

"Dear Oxbridge" betitelt Nele Pollatschek ihren humorvollen "Liebesbrief an England" (Galiani Berlin, 240 S., 16 €). Durch und durch ein Fan der Insel und ihres tollen Bildungssystems, geht sie in ihrem Buch der Frage nach, wie es zum Bruch mit Europa kommen konnte. Und sie muss erkennen: Die Wurzel des Übels liegt im System Oxbridge selbst. Es bringt die Mentalität und die politischen Akteure hervor, die das Land ruinieren.

Gestern (30. Januar) feierte Nele Pollatschek die öffentliche Buchpremiere in der ausverkauften Akazienbuchhandlung in Berlin-Schöneberg, wie Galiani mitteilt. "Nachdem glücklicherweise für alle ein Platz gefunden werden konnte, führte Buchhändlerin und Autorenkollegin Malin Schwerdtfeger mit Nele Pollatschek ein angeregtes Gespräch über die Fehlbarkeit englischer Rohrleitungen, das spezielle soziale Gefüge englischer Elite-Unis sowie mögliche historische Ursprünge und aktuelle Motivationen verschiedener Pro-Brexit-Lager", so der Verlag. "Nachdem die Signier-Schlange – auch hier funktionierte das Anstehen englisch-vorbildlich – vollständig abgearbeitet war, ließen Autorin und Gäste den Brexit-Vorabend bei Gin Tonic und Sprudelwasser so fröhlich wie möglich ausklingen."

Ian Mc Ewan erweist in seinem jüngsten Roman Kafka seine Reverenz, um eine unglaubliche Karriere zu erzählen. Jim Sams, eben noch eine Kakerlake hinter der Täfelung des Westminster-Palastes, wacht eines morgens als Mensch auf – und obendrein als britischer Premier! Kaum hat sich die Verwandlung vollzogen, beginnt Sams eine wilde Parforcejagd auf Parlament und Verfassung, um den Willen des Volkes unbeirrt, unter Missachtung aller Regeln und gegen alle Widerstände umzusetzen. Nicht kafkaesk, sondern kakerlakisch! ("Die Kakerlake", Diogenes, 144 S., 19,00 €)

Den Tiefenströmungen der englischen Gesellschaft spürt Jonathan Coes subtiler, teilweise komischer Roman "Middle England" nach (Folio, 480 S., 25 €, ET: 11.2.). Darin schildert er, wie sich Menschen in London und in der Provinz über einen Zeitraum von knapp zehn Jahren allmählich einander entfremden. Die Drift in der englischen Gesellschaft, das Bedürfnis nach "Englishness" auf der einen und nach Weltoffenheit auf der anderen Seite, wirkt auch als Spaltpilz in den Beziehungen der Protagonisten.

Eine Geschichte über Generationen und eine gespaltene Nation hinweg erzählt Ali Smith in ihrem Roman "Herbst", dem ersten Teil ihrer Jahreszeiten-Tetralogie (Luchterhand Literaturverlag, 272 S., 22,00 €). Im Herbst 2016, wenige Monate nach dem Brexit-Votum, besucht die 30-jährige Kunsthistorikern Elisabeth den hundertjährigen Kunstsammler Daniel. In ihren Gesprächen kreisen sie um die Zukunft, formulieren ihre Ängste und erzählen vom Leben – von Altern, Zeit und Liebe. Ein Buch, dass trotz aller Probleme etwas Versöhnliches hat.

roe