True Crime in der Literatur

Archive des Grauens

23. Januar 2020
Redaktion Börsenblatt

Das wahre Verbrechen sorgt für Gänsehaut, manchmal mehr als die beste Fiktion. Zuden populären Fallsammlungen gesellen sich immer mehr literarische Bearbeitungen – "True Crime Fiction".

Bei Lesern sind reale Kriminal­fälle beliebt – und für passende Stoffe bieten sich offenbar noch Marktchancen. Gerade hat der Zeit Verlag, der im April 2018 mit dem Magazin "Zeit Verbrechen" in den Markt eingestiegen ist, die Zahl der Ausgaben verdoppelt. In diesem Jahr werden vier statt wie bisher zwei Ausgaben erscheinen. Flankiert wird das Printangebot vom gleichnamigen Pod­cast, der laut Verlag mit rund 700.000 Downloads pro Folge zu den erfolgreichsten Angeboten dieser Kategorie gehört. Am 13. Februar erscheint im Zeit Verlag zudem das "Zeit Verbrechen"-Fanbuch, das Hintergrundmaterial zu den wichtigsten Kriminalfällen enthält.

Das Interesse an True Crime spiegelt sich auch in der Produktion der Publikumsverlage. So erscheint etwa am 30. Januar bei Ueberreuter die von Chris­tian Lunzer und Peter Hiess zusammen­gestellte Fallsammlung "Blut auf den Schienen" – mit den laut Untertitel "größten Verbrechen der Eisenbahn­geschichte" (208 S., 17 Euro). Weder im Zugabteil noch auf dem Bahnhof und erst recht nicht auf den Gleisen kann man seines Lebens sicher sein.

Toni Feller, Kriminalhauptkommissar und Mordermittler a. D. in Karlsruhe, schildert die spektakulärsten Fälle seiner Laufbahn in dem bei Gmeiner angekün­dig­ten Band "Im Dienst der Gerechtigkeit" (April, 282 S., 15 Euro). Ob es um den Kleinkriminellen geht, der tot im Garten seiner Eltern liegt, oder um eine Frau, die den Auftrag erteilt hat, ihren Mann zu ermorden – am spannendsten und tragischsten sind meist die Fälle aus dem echten Leben. Feller vermittelt den Lesern auch ein Gefühl dafür, wie die ­Psyche eines Ermittlers durch die Fälle, die er lösen muss, belastet wird.

Ist von "Serientätern" die Rede, wird in der Regel auf den Genderstern verzichtet. Dabei sind auch Frauen zu grässlichen Taten fähig, worüber die forensische Psychia­terin Nahlah Saimeh in ihrem bei Piper angekündigten Buch "Grausame Frauen" (Mai, 288 S., 15 Euro) aufklärt. Frauen bringen ihre Partner um, missbrauchen Kinder, töten Babys – Anzeichen für Gewalt bleiben im Vorfeld aber häufig unbeachtet.

Von den True-Crime-Titeln im engeren Sinne, die wahre Verbrechen dokumentarisch schildern, sind die Bücher zu unterscheiden, die bekannte Kriminalfälle literarisch inszenieren. Peter Englund, von 2009 bis 2015 Sekretär der Schwedischen Akademie, erzählt in seinem Buch "Mord in der Sonntagsstraße" (Rowohlt Berlin, April, ca. 352 S., 22 Euro) einen Kriminalfall, der traurige Berühmtheit erlangt hat: Im Jahr 1965 wird in Stockholm die Leiche einer jungen Frau gefunden, in ihrem Elternhaus an der idyllisch gelegenen Sonntagsstraße. Eine Polizeiaktion nie dagewesenen Ausmaßes beginnt – und allmählich werden Risse in der Wohlstandsfassade sichtbar.

"Tatsachenroman" nennt der italienische Autor Fabrizio Gatti sein bei Kunstmann angekündigtes Buch "Der amerikanische Agent", das mit narrativen Mitteln geheime Machenschaften der CIA in Europa aufdecken will und der Verlagswerbung zufolge "spannend wie ein Thriller" zu lesen sein soll (März, ca. 400 S., ca., 25 Euro).

Wie Fiktion auf der Basis von Tat­sachen aussehen kann, zeigt auch der Journalist und Schriftsteller Dirk Kurbjuweit in seinem (ausdrücklich so genannten) Kriminalroman "Haarmann" (Februar, Penguin, 320 S., 22 Euro). Er versetzt sich nicht nur in die Psyche des Ermittlers Robert Lahnstein, kreist nicht nur um den gesuchten Serienmörder Fritz Haarmann, sondern steigt auch ­hinab in menschliche und soziale Abgründe, die sich abseits des Glamours der 1920er Jahre auftaten.