Fest hatte die Mama Marek versprochen, einen Teil des Sommers in Venedig zu verbringen. Die Koffer sind gepackt, die Fahrkarten bestellt, da teilen die Erwachsenen Marek die Hiobsbotschaft mit: Aus Venedig wird dieses Jahr nichts, sein älterer Bruder Viktor soll ins Pfadfinderlager, er zu seinen Tanten aufs Land fahren. Den Grund ahnt der erwachsene Leser, dem Kind erscheint alles merkwürdig, der Vater erhält einen Stellungsbefehl und muss sich zu seinem Regiment begeben. Marek und Mama fahren auf den Gutshof, wo die Großmutter und eine Schar unterschiedlichster Tanten versammelt sind, nette, komische, kauzige und mittendrin Marek, der alles genau beobachtet und seine Schlüsse zieht, die Familienverhältnisse analysiert.
Zur Überraschung der Bewohner sprudelt plötzlich Wasser im Keller, der Pegel steigt, und Tante Barbara schafft mit den Kindern Marek, seiner hübschen Cousine und der verführerisch frechen Enkeltochter des Nachbarn ein Venedig. In alten Waschzubern fahren sie zwischen einer Insellandschaft aus Regalen und Tischen umher, phantasievoll, traumvergessen, ein herrliches Spiel, das die Detonationen und immer deutlicher werdenden Anzeichen der Kriegshandlungen in eine Ferne rückt. »Es ist Krieg. Eigentlich sollten wir weinen. Aber stattdessen fahren wir nach Venedig.«: Zwei Welten sind entstanden. Und Marek merkt, dass er unwiederbringlich langsam erwachsen werden wird.
Stefan Hauck
Wlodzimierz Odojewski: Ein Sommer in Venedig. SchirmerGraf 2007, 126 Seiten, 14,80 Euro