Die Betreiberin einer international ausgerichteten Internet-Plattform, in diesem Fall gutenberg.org, haftet, wenn sie sich die von Dritten auf der Plattform eingestellten Werke "zu eigen" gemacht hat, führt das OLG Frankfurt aus. Der Geschäftsführer der Plattform haftet ebenfalls, wenn er lediglich eine Prüfung nach US-Urheberrecht veranlasst, trotz der bestimmungsgemäßen Ausrichtung der Webseite auch auf deutsche Nutzer.
Geklagt hatte der S. Fischer Verlag, der unter anderem Werke von Thomas Mann, Heinrich Mann und Alfred Döblin herausgibt. Die beklagte internationale Plattform (gemeint ist: gutenberg.org) sei nach US-Recht eine "non-for-profit-Corporation". Sie betreibt eine auch in Deutschland abrufbare Webseite, deren Ziel die Veröffentlichung von in den USA gemeinfreien Werken ist. Auf der Homepage sind mehr als 50.000 Bücher als E-Books kostenlos abrufbar, unter anderem 18 Werke der genannten drei Autoren auch in deutscher Sprache. Die Bücher werden von freiwillig für die Plattform tätigen Dritten (sog. volunteers) auf der Plattform eingestellt. Die Plattform veranlasst vor der Veröffentlichung eine Prüfung ausschließlich nach den Kriterien des US-Urheberrechts, fasst das OLG zusammen.
OLG bestätigt Entscheidung des Landgerichts Frankfurt
Der S. Fischer Verlag ist der Auffassung, die Plattform verletze die ihr zustehenden Urheberrechte an den 18 Werken − und nimmt die Beklagte auf Unterlassen in Anspruch. Das Landgericht Frankfurt hatte der Klage am 9. Februar 2018 stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Begründung
Die deutschen Gerichte seien international zuständig, da die Inhalte der Webseite auch in Deutschland abgerufen werden können, stellt das OLG klar. Anwendbar sei deutsches Recht. Nach den Regelungen des internationalen Privatrechts richte sich die Frage, ob Ansprüche wegen der Verletzung von Urheberrechten bestehen, nach dem Recht des sogenannten Schutzlandes, also hier der Bundesrepublik Deutschland.
Die Plattform verletze ausschließliche urheberrechtliche Nutzungsrechte des S. Fischer Verlags. Dieser habe nachweisen können, dass ihr in Deutschland an den betreffenden Werken ausschließliche Nutzungsrechte zustünden. Nach deutschem Recht seien die Werke − noch − nicht gemeinfrei (bei Heinrich Mann etwa erst 2021).
Die Betreiberin hafte für die über ihre Plattform abrufbaren Werke auch als sogenannte Täterin. Der Betreiber einer Internetplattform sei für dort zugänglich gemachte Inhalte nicht nur verantwortlich, wenn er die Inhalte selbst geschaffen habe. Es genüge, dass er sich die Inhalte "zu eigen" gemacht habe. Das sei hier der Fall. So würden die von den sogenannten volunteers auf ihrer Plattform eingestellten Werke als "our books" bezeichnet. Zudem werde auf eine mit der angebotenen Literatur verbundene "Project ... License" verwiesen. Schließlich habe sie willentlich an dem Angebot ihrer Webseite für deutsche Nutzer festgehalten, auch nachdem die Klägerin sie auf den noch bestehenden Urheberschutz in Deutschland hingewiesen hatte. Die fehlende Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten sei für die Frage einer unzulässigen öffentlichen Wiedergabe ohne Bedeutung.
Der zudem in Anspruch genommene Geschäftsführer der Beklagten hafte ebenfalls für die Urheberrechtsverletzungen. Grundsätzlich treffe einen Geschäftsführer zwar nicht die Verpflichtung, jede Urheberrechtsverletzung zu verhindern, die aus dem von ihm geleiteten Unternehmen heraus begangen werde. Beruhe aber die Rechtsverletzung auf einer Maßnahme der Gesellschaft, die typischerweise auf Geschäftsführerebene entschieden werde, sei davon auszugehen, dass sie von dem Geschäftsführer veranlasst worden sei. Hier habe der Geschäftsführer das Konzept der Beklagten, literarische Werke vor ihrer Veröffentlichung lediglich nach US-Urheberrecht zu prüfen, obwohl sich die Seite bestimmungsgemäß auch an deutsche Nutzer richtete, selbst herausgearbeitet und praktiziert.
Revision vor dem BGH ist möglich
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH die Zulassung der Revision beantragt werden.
Was mich an der Causa allerdings massivst stört, ist dass durch die Klage des Verlages alle deutschen Nutzer von gutenberg.org durch das pauschale Ausperren quasi in Sippenhaft genommen werden. Damit "vermiest" mir der Fischer Verlag durch die Hintertür den Zugriff auf gemeinfreie Werke der Weltliteratur. Mein persönliches Kaufverhalten gegenüber Fischer Titeln hat dies jedenfalls - zu Lasten des Verlages - beeinflusst. Recht hin, Recht her: es bleibt ein "Gschmäckle".
Ohne Details des konkreten Rechtsstreits zu kennen, sollte man nichtsdestotrotz nicht vergessen, dass bei Unterlassungsfällen stets die Gefahr einer strafbewährten Wiederholung wie ein Damoklesschwert über dem Verurteilten schwebt. Pauschal ein ganzes Land zu sperren, wird da aus juristischer Sicht vermutlich ein probates Mittel sein.
Die Sperrung der deutschen Nutzer dient nur der Rechtssicherheit. Deutsche Nutzer nutzen einfach VPN, dann sind sie "Amerikaner". Wer das Project Gutenberg besucht und elektronisch liest kann so was mit wenigen Mausklicks.
@ Robert S. Plaul: Project Gutenberg ist kein kommerzielles Unternehmen wie YouTube, eine Sperrung beliebig nach Land und Titel auf Zuruf ist ziemlich aufwendig. Da geht pauschal schon eher.
Frage an die die Verlage die gemeinfreie Werke nach wie vor verlegen: Warum machen Sie das, wenn diese Werke kostenfrei im Internet zu haben sind? Wir verkaufen auch solche Titel ordentlich in gedruckter Form.