Verwenden Sie gendergerechte Sprache?
Ich schreibe immer alles aus – und ich setze die Damen auch voran, also zum Beispiel Autorinnen und Autoren. Vor allem in Sachtexten muss man präzise sein, denn Sprache macht ja nicht nur sichtbar, sondern für mich ist Sprache auch ein Mittel der Präzision. Und wenn man präzise sein möchte, muss man die Dinge benennen, wie sie tatsächlich heißen.
Leidet in fiktionalen Texten nicht die sprachliche Eleganz darunter?
Gerade in Prosatexten ist es überhaupt nicht schwierig alle zu nennen, selbst wenn man Menschenmengen beschreibt. Wenn man geschickt im Erzählen ist, kann man es auch durchaus vermeiden, dass man in einen behäbigen Sprachkuddelmuddel kommt, sich in Aufzählungen ergeht.
Was ist mit Binnen-I und Gendersternchen?
Das Binnen-I nutze ich in Facebookchats, die Stern*chen vermeide ich. Das ist eine Frage der ganz und gar subjektiven Ästhetik, aber auch der Neurologie. Ich finde Buchstaben einfach zu schön. Lesen animiert im Gehirn Bilder und damit Emotionen. Emotionen sind die Grundlage dessen, wie wir zu etwas oder jemandem stehen, wie wir die Welt überhaupt sehen. Ausgeschriebene Wörter, also etwa Pilotinnen und Piloten, zeichnen ein anderes Bild im Gehirn nach und ebensolche Emotionen, als etwa Pilot*innen. Die neuronale und emotionale Echokammer der Rezipierenden ist nicht zu unterschätzen; und da nutze ich als Autorin doch die große Chance, die Gegebenheiten und Personen so zu benennen, wie ich sie als Bild im Kopf meines Gegenübers auch tatsächlich zeichnen will.
Und wo bleibt das dritte Geschlecht?
In Sachtexten oder Mitteilungen wurde ich bisher bei den von mir favorisierten Ausschreibungen wie Autorinnen und Autoren bisher von keiner Trans/Inter/Queerpersönlichkeit gebeten, eine weitere Form zu finden, wie etwa AutorX. Gerne werde ich dafür aber weiter sensibilisiert und erhalte auch gerne Vorschläge, die über das Sternchen hinaus gehen.
Welchen Umgang in Sachen gendergerechte Sprache wünschen Sie sich von Verlagen?
Dass sie allesamt mal ihre Webseiten überarbeiten und zum Beispiel sagen, unsere Autoren und Autorinnen auf der Frankfurter Buchmesse oder möchten Sie mehr über die Autorinnen und Autoren wissen. Ich wünsche mir, dass die Verlage sich auf ihren öffentlichen Seiten die Mühe machen, so etwas präzise auszuschreiben. Außerdem wünsche ich mir, dass sie auf gar keinen Fall bei dieser seltsamen Erklärung des Vereins Deutsche Sprache (VDS) mitmachen, die gerade überall herumgeistert.
Extrem dafür oder extrem dagegen: Warum ist das Empörungspotenzial bei diesem Thema so groß?
Das Dagegenhalten gegen eine präzise, inklusive Sprache ist eigentlich nur ein Symptom für gelebte Misogynie. Stellen Sie sich doch einmal andersherum vor, wir würden in einer Welt leben, in der es bisher nur Gärtnerinnen, Autorinnen, Doktorinnen, Pilotinnen gäbe und das würde aufgebrochen werden. Ich glaube, die meisten Männer wären sehr zufrieden, wenn sie dann mitgenannt würden. Und: Der Verein Deutsche Sprache besitzt für mich etwas unangenehm deutsch-tümelndes, zudem mit unscharfer Argumentation, wie es bereits Till Raether im SZ-Magazin gewitzt auf den Punkt brachte.
Welche Möglichkeiten gibt es? Was empfiehlt der Duden? Wie gehen Verlage und der Buchhandel damit um? Was wünschen sich die Autoren? Gendern ist das Thema der Woche im Börsenblatt Heft 12, das am 21. März erscheint!
Dank auch an Inge Luett, der ich unbedingt zustimmen möchte.
Und ergänzend - meiner dreißigjährigen Lektorinnenerfahrung nach liegt eine tiefe, aber gern übersehene Wahrheit in dem Satz: "Wenn man geschickt im Erzählen ist, kann man es auch durchaus vermeiden, dass man in einen behäbigen Sprachkuddelmuddel kommt, sich in Aufzählungen ergeht." So ist es! Dazu braucht es nur ein wenig Sorgfalt, Können und Liebe zum Präzisen.
Also Leute, hört doch bitte mal auf, euch über sprachliches Gendern zu ereifern - wenn ihr ernstlich die Schönheit und Bewusstheit von Sprache retten möchtet, gibt es weit dringenderen Handlungsbedarf auf anderen Feldern. Und es ist immer gut, mit einer respektvollen Kommunikation anzufangen. Erst recht, wenn wir irgendeine Hoffnung haben wollen, miteinander im Austausch und in Gesellschaft zu sein, statt einander nur zu überschreien.
Abschließend mein launiger Lesetipp zum Thema, ein druckfrischer Kriminalroman von Christine Lehmann: DIE ZWEITE WELT. Hier prallen spannend, humorig und nachdenklich Demokratie und Feminismus auf populistischen Terror. Christine Lehmann verhackstückt aktuelle Polemiken und wühlt in der Normalität, bis die Unvernunft zutage tritt. Ein Frauentagskrimi? Nein, ein hochaktueller feministischer Kriminalroman für alle.
danke für den Tipp (für Nichtbuchhändler*innen: https://www.buchhandel.de/buch/Die-zweite-Welt-9783867542371)
Dabei sieht mensch in den Katalogen gleich, dass der Börsenverein und seine Unternehmungen auch selbst noch eine Menge Arbeit vor sich haben:
"Urheber: Lehmann, Christine (Autor)" (sic!), "Über den Autor"...
"It's a men's world", isn't it, my dear?
Das Gendern der Sprache ist bereits im theoretischen Ansatz problematisch, weil der Impuls von der Gender-Theorie ausgeht, nicht vom tatsächlichen Sprachgebrauch. Sprache verändert sich aber durch den Sprachgebrauch und nicht am sprachfeministischen Reißbrett. Sie verändert sich von unten nach oben, nicht umgekehrt, es sei denn, man betreibt bewusst Sprachpolitik in manipulativer Absicht.
In der praktischen Wirkung ist das Gendern der Sprache kontraproduktiv. Mehr Geschlechtergerechtigkeit wird nicht durch Sprachvorschriften erreicht, sondern durch politische und gesellschaftliche Veränderungen, wie sie in den letzten vierzig Jahren verstärkt stattgefunden haben. Dieser Prozess wird weitergehen, und die Sprache wird ihn angemessen abbilden. Das kann vielleicht etwas länger dauern, als bestimmte Aktivisten es sich wünschen. Eine feministische Sprachpolitik braucht es dazu nicht. Es ist – nebenbei bemerkt – schon irritierend, wenn ausgerechnet Menschen, die sich selbst für sensibel und achtsam halten, keine Skrupel haben, die Sprache zu misshandeln.
Oft wird argumentiert, es würden ja lediglich Vorschläge gemacht. Jeder könne es mit dem Gendern halten, wie er wolle. Das verkennt aber die Realität. Abgesehen davon, dass man nicht mehr von „Vorschlägen sprechen kann, wenn ins Sprachsystem eingegriffen wird, ist das Gendern inzwischen durch Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an Universitäten und anderen Institutionen zum Standard erhoben worden. Obwohl die Verfechter des Genderns eine kleine Minderheit sind, haben sie großen Einfluss. Ihr Hebel ist eine bestimmte Moral. Wer sich der neuen Sprachpolitik verweigert, gilt als rechts, frauenfeindlich, reaktionär, gestrig. Sachargumente aus der Sprachwissenschaft haben keine Chance, denn nicht die Sache – die Sprache – ist wichtig, sondern die „richtige“ Gesinnung.
Letztlich geht es um Deutungshoheit und um Macht. Der Mehrheit soll eine Sprachregelung verordnet werden, um das Bewusstsein in Richtung der Gender-Theorie zu verändern. Man kann das auch Manipulation und Bevormundung nennen. Geschlechtergerechtigkeit wird dadurch nicht befördert, eher im Gegenteil. Das Gendern der Sprache durch eine Minderheit erweist der Sache der (Frauen)emanzipation einen Bärendienst, weil die Veränderungen im Kern sprachfremd sind und weil die große Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher Eingriffe „von oben“ in das Sprachsystem ablehnt.
Die Ablehnung ist oft intuitiv, weil die meisten Menschen wenig Einblick in das Sprachsystem haben, aber merken, dass da etwas in die falsche Richtung läuft. Die Zustimmung auf der anderen Seite ist oft blind, weil sie aus einer Mischung aus Unkenntnis über die Funktionsweise der Sprache, schlechtem Gewissen und falscher Solidarität mit feministischen Aktivistinnen erfolgt.
Es ist zu hoffen, dass das Gendern Episode bleibt, weil es von der Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher nicht angewendet wird. Die die deutsche Sprache wird es abschütteln, wie sie schon so einige Eingriffe von verschiedenster Seite abgeschüttelt hat.
Fazit:
- Die aktuell geltenden Formen der Sprache reichen aus, um hinreichend präzise zu sein, zu differenzieren und auch die Frauen „sichtbar zu machen“.
- Die Neuregelungen machen die deutsche Sprache hässlicher, komplizierter, schwerer lernbar und schaffen viele neue grammatische Zweifelsfälle und sprachliche Unklarheiten.
- Gendern schafft für die deutsche Sprache einen Sonderstatus, der von außen betrachtet nur komisch wirken.
- Unbedachte und ideologisch motiverte Eingriffe in das gewachsene Sprachsystem verursachen grammatisches Durcheinander.