KNV-Insolvenz: Offener Brief der Buchhandlung Dichtung & Wahrheit

"Wir müssen jetzt beherzt in die Tasche greifen!"

15. Februar 2019
Redaktion Börsenblatt
KNV ist insolvent - und nun? Buchhändlerin Andrea Euler ist Kundin, ihre Buchhandlung Dichtung & Wahrheit in Wächtersbach ist Kunde beim Großhändler. Sie fordert vom Handel Unterstützung und solidarisches Handeln für die Mitarbeiter, die jetzt um ihre Jobs bangen. Ein offener Brief.

"KNV hat Insolvenz angemeldet. Ein Donnerschlag. Ein Betrieb, in den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts gegründet, zweifelt an sich auf dem aktuellen Marktparkett. Das ist nicht nur traurig. Es ist tragisch. Tragisch deshalb, weil es nur wenige der 1.800 Beschäftigten – diese Zahl wird in der Presse genannt -  das Dilemma verursacht haben.

Die anderen: Angestellte. Arbeiter. Außendienstler. Menschen, die im Büro arbeiten, an der Packstraße, in der Remissionsabteilung. Menschen wie Du und ich. Viele davon: Unsere Freunde. Die Buchbranche ist keine Branche wie jede andere. Natürlich unterliegt sie den Regeln des Marktes. Natürlich muss ein gewisses Maß an Professionalität herrschen – eine Professionalität, die KNV nach dem Umzug nach Erfurt oft missen ließ. Managementfehler waren es im Großen und Ganzen. Nicht die Fehler derer, die den Betrieb mit ihrer täglichen (und oft mühevollen Arbeit) am Laufen gehalten halten.

Und deshalb ist es jetzt an uns allen, den Buchhändlern, genau diesen Mitarbeiten*innen zu helfen. Das ist nicht schwer. Es ist auch nicht unmöglich: Wir alle, die wir Kund*innen bei KNV sind, die wir die Arbeit der Innen- und Außendienstmitarbeiter gerade in den höchsten Tönen loben, die wir mit den Bibliographiermöglichkeiten bei PC-Bis so glücklich waren, wir müssen einfach mal beherzt in die Tasche greifen.

Wir müssen dem Insolvenzverwalter ein Zeichen unserer Solidarität geben. Wir stehen zu unserem Barsortiment. Uns ist seine Existenz wichtig. Eine Zahl von 5.600 Buchhandlungen wird derzeit in der Presse genannt. Würde jede*r für einen Einkaufswert von 1.000 Euro im KNV-Barsortiment zusätzlich einkaufen, das Lager auffüllen – KNV stünden 5.600.000 Euro mehr zur Verfügung. Ja, natürlich stehen diesem Betrag auch Verbindlichkeiten gegenüber. Und: Ein solcher Betrag mag in Summe nicht allzu viel scheinen, wenn man den Schuldenberg betrachtet, den KNV seit seinem Umzug zu bewältigen hat.

Dennoch: Wir haben uns entschieden. Wir werden das ab heute so machen.

Denn es ist ein Zeichen der Solidarität. Es ist ein Signal einer Branche, die ihre Kolleg*innen auch in schwierigen Zeiten nicht im Stich lässt. Nicht zuletzt ist es auch Hilfe zur Selbsthilfe: Die übrigen Marktteilnehmer werden nicht innerhalb kürzester Zeit in der Lage sein, den Wegfall von KNV zu kompensieren. Wäre der Wegfall von KNV als Handelspartner systemrelevant? Eher nicht. „Too big to fail“? Auch nicht. Aber er würde die Marktbedingungen gerade für die kleinen Anbieter im Buchhandel und in der Verlagsszene verschlechtern, währenddessen Jeff Bezos sich entspannt eine Flasche Sekt aufmacht. Und genau deshalb sollten wir uns an das erinnern, was unsere Branche ausmacht: Not money. But content.

„I´m on the same page“ haben viele von uns in Anspruch genommen. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ So steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Diesen Geist der Brüderlichkeit wünsche ich mir nun auch für den Umgang mit KNV. Ich hoffe, dass der Betrieb uns als Partner erhalten bleiben kann."

Andrea Euler, Dichtung & Wahrheit in Wächtersbach