Buchtipp

Wund geschürfte Hoffnungen

30. August 2007
von Börsenblatt
Heutzutage hat man doch alle Möglichkeiten, besonders im schillernden Berlin. Und allemal im Sommer, wo Sonne und gute Laune zur Verwirklichung kühnster Träume beflügeln. Aber was tun, wenn alles Wünschen und Streben schockgefroren ist angesichts dessen, was man nicht hat kommen sehen?
Iris, die Hauptfigur in Kerstin Dukens Debütroman »Jahrhundertsommer«, schlägt sich im Job als Werbestrategin mit ihrem Laptop in ihrer Plattenbauwohnung durch. Möglichst wenig Kundenkontakt, das ist ihr das Wichtigste. Es kommt nur auf die richtige »Work-Life-Balance« an. Und dennoch gerät sie in den Sog knallharter Konkurrenzkämpfe und hohler Verkaufsmethoden, die zugeschnitten sein müssen auf das gierige Bedürfniskarussell potentieller Kunden. Ein Überfall, nachts in einem Kreuzberger Hinterhof nach eher zwanghaftem als vergnüglichem Partyhopping, lässt schließlich auch Iris’ dürftige Schutzburg im Privaten zusammenbrechen. Es bleibt unklar, ob dies der Auslöser ihres Leidens am Borderline-Syndrom ist. Der Roman schafft in schneidend klarer Sprache, ganz und gar nicht selbstverliebt, eine schonungslose Nähe zu dieser um Ich-Stabilität ringenden Frauenfigur. Iris’ Suche nach den verlorenen Werten wie Solidarität im Familienverbund, Liebe im zwischenmenschlichen Umgang und ideeller Antriebe im beruflichen Engagement reißt den Leser mit bis zur letzten Seite. Mehr noch, dieser Weg voller Selbstverletzungen wühlt auf. Und zuletzt bleibt man atemlos zurück mit der wund geschürften Hoffnung auf ein Zuhause. Der dabei aufglimmende Glaube, nach seelischen Desastern vielleicht doch auf sowas wie ausgleichende Gerechtigkeit bauen zu können, wärmt und schmerzt zugleich. Die Lebhaftigkeit der Erinnerung an die hier erlebten Risse im Ich, die das Leben mit sich bringt, wird sich nach dieser Romanlektüre sicher nicht so schnell verlieren. Yvonne Messer Kerstin Duken: Jahrhundertsommer. Goldmann Verlag, 2007, 288 S., 17,95 Euro Weitere Buchtipps finden Sie hier!