Krimis, die Gesellschaftskonflikte thematisieren

Die Welt ist düster

24. Januar 2019
Sabine Schmidt

Bei den schweren Delikten, von denen sie erzählen, liegt es nahe: Viele Krimis und Thriller spiegeln gesellschaftliche Konflikte wider. Die Frühjahrstitel erzählen von Wirtschaftskrisen und Korruption, von Verbrechen aus der Kolonialzeit und dem Angriff auf feministische Positionen.

Auf dem deutschen Buchmarkt hatten sie lange ein generelles Problem: Geschichten rund ums Verbrechen galten einfach nur als trivial, weil sie – so ein zentraler Vorwurf – Leid in wohlige Schauer und Profit ummünzen. Krimi- und Thrillerautoren nutzen Mord aber auch, um gesellschaftlichen Konflikten auf den Grund zu gehen. Dieser ernste Zug hat mit dazu beigetragen, das Image des Genres aufzupolieren. Mehr noch: Mancher sieht heute im Krimi den neuen Gesellschaftsroman. Tatsächlich muss man die Produktion aber sehr differenziert betrachten: Vom ambitionierten Kriminal- bis zum Trivialroman ist alles dabei. Selbst eine kleine Stichprobe bei Neuerscheinungen, die sich mit gesellschaftlichen Konflikten befassen, gibt einen Eindruck von dieser Bandbreite.

Profiteure der Finanzkrise
Zum Beispiel Marc Elsberg, der mit "Blackout" sein Erfolgsschema gefunden hat: Gesellschaftspolitische Themen stellt der Wiener Autor in einer Thrillerhandlung zur Debatte und kombiniert sie mit Mord so, dass der Widerspruch des Genres, mit Verbrechen zu unterhalten, nicht wehtut. Zugleich bringt er seine Leser aber auch zum Nachdenken.

Dieses Mal ist "Gier" (Blanvalet, Februar, 448 S., 24 Euro) sein Thema. Erneut sucht eine Wirtschaftskrise die Menschheit heim, erneut gibt es große Finanzverluste – und ein paar Wenige wollen das nutzen, um richtig abzusahnen. Ein Ökonom hat dagegen die Antwort auf die wirtschaftliche Ungerechtigkeit: ein Nobelpreisträger, der aber ums Leben kommt, bevor er seine Idee vorstellen kann. Ein junger Pfleger weiß, dass der Unfall tatsächlich kein Unfall war, sondern Mord. Er wird von den Tätern gejagt, während sich in Berlin die Mächtigen der Welt treffen und andere gegen sie protestieren.

Bedrohte Feministinnen
Bei Elsberg nimmt Action inklusive blutiger Verfolgungsjagden einiges an Raum ein. Christine Lehmann weitet dagegen die Grenzen des Unterhaltungsgenres aus. In "Die zweite Welt" (Ariadne, Februar, 220 S., 13 Euro) ist der Krimi-Anteil fast nur noch der Rahmen, der ihr die Möglichkeit gibt, ihre Themen zur Sprache zu bringen: den aktuellen Stand des Feminismus sowie die Bedrohung von Gleichberechtigung durch Rechtspopulisten und Islamisten. Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, versucht die Feministin Lisa Nerz in ihrem neuen Fall herauszufinden, wer hinter den Drohungen gegen den Demonstrationszug steht und ob sie ernst zu nehmen sind. Engagiert, klug, witzig – und überhaupt nicht subtil sendet die Autorin dabei ihre gesellschaftspolitischen Botschaften. Eindeutig nicht für jedermann, sondern für Mitstreiterinnen und Fans, oder genauer: für Faninnen.

Opfer des Kolonialismus
Auch Jonathan Robijn bewegt sich weg von konventionellen Genreformen: "Kongo Blues" (Nautilus, März, ca. 192 S., ca. 18 Euro) ist kein klassischer Krimi mit zielgerichteter Ermittlung. Vielmehr will der Protagonist die Verbrechen, um die es geht, vergessen. Die Spannung bezieht der Kriminalroman ­dadurch, dass man im Dunkeln tappt, aber unbedingt wissen will, was die Figuren antreibt.

Es ist ein leiser, berührender Roman, der seine Leser in die melancholische Unbestimmtheit des Jazzpianisten Morgan in Brüssel im Januar 1988 führt, in ein nahezu ereignisloses Leben. Mit einem Mal aber taucht eine junge Frau auf, nistet sich in Morgans Wohnung ein, verschwindet wieder, kehrt zurück, ohne dass klar wird, was sie will. Erst allmählich gibt Robijn sein Thema preis: die Kolonialgeschichte Belgiens und deren grausame Folgen für Kinder wie Morgan, die einen weißen Vater haben, ihren afrikanischen Müttern weggenommen und zur ­Adoption in Europa freigegeben wurden. Dem Autor geht es um Identität, um Rassismus und Ausbeutung, um Schuld und darum, dass die Opfer jetzt erst und nur zögerlich Gehör finden.

Das Amerika der Aussteiger
In Jonatham Lethems Buch kommt der Ermittler schon im Titel vor: "Der wilde Detektiv" (Tropen, 335 S., 22 Euro). Aber auch dieses Buch ist weit entfernt davon, ein klassischer ­Genretitel zu sein, obwohl der Held klassische Detektivarbeit leistet: Gemeinsam mit seiner Auftraggeberin sucht er eine junge Frau. Dabei machen nicht Plot und Action diese Geschichte aus, sondern es ist die Art, wie über die Erlebnisse der beiden Suchenden gesprochen wird.

Die Erzählerstimme gehört einer Journalistin, die ihren Job nach Donald Trumps Wahlsieg gekündigt hat. Ihre privilegierte New Yorker Mittelschichtswelt hatte schon vorher Risse, jetzt aber will sie nicht mehr dazugehören. Bei ihrer Suche nach der Verschwundenen begegnet sie einem anderen Amerika: dem von Obdachlosen und Aussteigern. In den sarkastischen Kommentaren ist die Verletzlichkeit der Protagonistin zu spüren, die am neuen Amerika verzweifelt. Sie will mit ihm nichts zu tun haben, würde am liebsten selbst aus ihm verschwinden.

Am Rande der Gesellschaft
Dass es auch in Lucie Flebbes neuem Krimi "Jenseits von Schwarz" (Grafit, März, ca. 320 S., 12 Euro) – dem zweiten um die alleinerziehende Bochumer Teilzeitpolizistin Eddie – um gesellschaftliche Werte geht, ist auf den ersten Blick nicht zu merken. Er ist vor allem erst einmal eines: witzig – und spannend, wenn es um mysteriöse Vorgänge in einer Sucht­klinik im Ruhrgebiet geht.

Ernst ist der Krimi dagegen bei einem Thema, das als Hintergrund der Geschichte dient: bei den prekären Lebensumständen von Alleinerziehenden, von Menschen am unteren sozialen Rand. Sie tun sich zusammen, helfen einander, und ­Eddie schliddert auch noch in eine Romanze. Das alles nimmt dem ernsten Thema den Stachel, dennoch: "Jenseits von Schwarz" ist ein Unterhaltungsroman, der Armut und Isola­tion deutlich anspricht.

Düsteres Haiti
Im Vergleich zu Gary Victors Krimis ist das allerdings noch verhalten. Denn Victor zeichnet die Welt richtig schwarz und schreibt grimmig über Armut, Elend und Korruption in seinem Heimatland Haiti. In seinem neuen Fall ("Im Namen des Katers", Litradukt, 168 S., 12 Euro) sucht Dieuswalwe Azémar nach einer verschwundenen Katze. Erst ist der Polizeiermittler verärgert, weil er sich mit dieser Lappalie abgeben muss, dann ist er angetan vom großen Finderlohn, und schließlich führt ihn die Suche nach dem Tier mitten ins düstere Haiti.

Victor gönnt seinen Lesern einen genialen, aber nicht einwandfreien Helden. Er trinkt exzessiv. Auch Haiti selbst schildert der Autor nicht gerade als exotisches Urlaubsland: Der Alkohol hilft vielen dabei, Elend und Aussichtslosigkeit zu ertragen. Entgegen besseren Wissens lässt sich Dieuswalwe Azémar auf Voodoo ein. Und wer ihm in die Quere kommt, den knallt er skrupellos ab: weil diejenigen, die mit Verbrechen reich werden, sich sogar nach rechtskräftigen Verurteilungen freikaufen und weiter morden.

Gary Victor ist ein Beispiel für Krimi- und Thrillerautoren, die auf die Misere in ihren Heimatländern aufmerksam machen wollen – und steht für schwarze, finstere Krimis, die zugleich als Sensoren für gesellschaftliche Konflikte dienen. ­Unter dem Strich ist die Palette aber auch bei den sozial­kritischen Titeln bunt – von melancholisch-düster bis munter-unterhaltsam.