Das Jahr 1918 nimmt Julia Zejn in "Drei Wege" (Avant, 184 S., 25 Euro) zum Ausgangspunkt einer ungewöhnlichen Chronik, welche die Lebenswege dreier Frauen in bewegten Zeiten nachzeichnet. Ida kommt 1918 als Dienstmädchen zu einer Arztfamilie und muss miterleben, wie die liberal denkende Ehefrau von ihrem Mann, einem Kriegsheimkehrer, patriarchalisch in die Schranken gewiesen wird. Marlies beginnt 1968, sich gegen die traditionellen Rollenbilder ihrer Familie aufzulehnen und wird Lehrling in einer Buchhandlung. Selin weiß 2018 gar nicht, was sie möchte, und erlebt, wie ihre Freundin Alina an Leistungsdruck und Perfektionismus zugrunde geht. Julia Zejn verknüpft dabei geschickt die einzelnen Figuren und Handlungsstränge; am beeindruckendsten sind dabei die Passagen, die ganz ohne Text auskommen – und trotzdem viel erzählen.
In das Russland des Jahres 1917 führt Pascal Rabatés Graphic Novel "Der Schwindler. Roman eines Revolutionsabenteurers" (Schreiber & Leser, 544 S., 39,80 Euro). Hauptfigur Semjon Iwanowitsch Newsorow hat in bewegten Zeiten genug vom Leben des kleinen Büroangestellten und macht sich auf, um reich und glücklich zu werden. Dabei geht er wortwörtlich über Leichen. Und auf jeden Aufstieg folgt auch wieder ein Absturz. Rabaté setzte Alexej Tolstois Roman "Ibykus" über die Wirren der Oktoberrevolution mit düsteren, expressionistischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen in eine faszinierende Graphic Novel um.
Nach dem Tod des Spirou-Zeichners Franquin setzen andere Illustratoren die Abenteuer fort. Der Wahlberliner Flix widmet sich in der rasant erzählten Geschichte "Spirou in Berlin" der DDR kurz vor dem Mauerfall 1988 – und wird dafür mit Platz 1 der Comic-Charts belohnt. Emile Bravos Band "Spirou oder: die Hoffnung" (Carlsen, 96 S., 14 Euro) dreht sich dagegen um den Einmarsch der Deutschen in Belgien. Wie im Alltag faschistisches Gedankengut Platz findet, wie mancher meint, unpolitisch zu sein, und dabei längst in eine Herrenmenschen-Attitüde verfällt – das alles stellt Bravo mit dem bekannten Figurenfundus erschreckend klar und desillusioniert dar. Das Grauen hat eben viele Gesichter.
Der aufkommende Nationalismus entzweit 1938 auch die Brüder Thomas und Charles Deschamps, die einem kleinen Dorf in den Ardennen leben. Während der abenteuerlustige Thomas mit dieser Ideologie nichts anfangen kann, ist Charles Feuer und Flamme dafür. Als sich beide dann auch noch in Assunta und damit in dieselbe Frau verlieben, kommt es zum Bruch. Doch dann beginnt der Krieg. Die Familienchronik, die Eric Warnauts und Guy Raives in der Zeit des Nationalsozialismus beginnen lassen, führt weiter bis zum Kalten Krieg und geht mit dem gerade erschienenen Band "Zeitenwende. Nach dem Krieg Band 2" (Panini, 60 S., 17 Euro) in die vierte Runde. Inzwischen ist der Zweite Weltkrieg vorbei und Thomas versucht, Assunta aus einem Arbeitslager zu retten. Der frankobelgische Comic bietet neben der packenden Handlung noch viele Informationen zu den historischen Hintergründen – spannend und lehrreich.