Buchtipp

Orientierung durch intensive sinnliche Wahrnehmung

9. August 2007
von Börsenblatt
Zu jeder Liebe gehören auch Verletzungen, ob gewollt oder nicht, und Hanns-Josef Ortheil, ein Meister der leisen Töne, beschreibt in »Das Verlangen nach Liebe« vorsichtig tastend, wie intensiv zwei Menschen nach 18 Jahren der Trennung wieder zueinander finden.
Bereits in seinem letzten Roman »Die große Liebe« hatte Ortheil das späte Glück zwischen einer Meeresbiologin und einem Journalisten thematisiert, das, zufällig im Urlaub gefunden, verteidigt und hartnäckig festgehalten werden musste. In »Das Verlangen nach Liebe« lotet Ortheil nun das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen dem Pianisten Johannes und der Kunsthistorikerin Judith aus, die sich nach 18 Jahren der Trennung plötzlich gegenüberstehen: Er, der Unsichere, Getriebene, der Halt sucht in einem abgeschotteten, durch Konzerte strukturierten Leben, sie, die ordnende, vorausschauende Planende, bei deren stets für beide getroffenen Entscheidungen unklar bleibt, ob sie Johannes dominiert oder ihm die Wünsche vom Mund abliest. Innerhalb weniger Tage entwickelt sich zwischen den beiden »ein starkes Glück, als hätten wir eine Fahrt durch einen langen, nicht enden wollenden Tunnel jetzt hinter uns und hätten auf der anderen Seite dieses Sankt Gotthard endlich ins Freie gefunden.« Durch seine detaillierten Beschreibungen der Gedanken des Ich-Erzählers Johannes wie auch der gemeinsam wiedererlebten Orte in Zürich nimmt Ortheil den Leser mit auf Entdeckungsreise. Er zeigt, dass Musik und Bildende Kunst nicht nur in sublimierter, artifizieller Form bereichernd sind, sondern dass Hinhören und genaues Schauen im alltäglichen Erleben höchste Genüsse darstellen: Sinnliche Erfahrungen als intensivste Wahrnehmung der Umwelt, als Schlüssel zu den Geheimnissen menschlichen Miteinanders. Stefan Hauck Hanns-Josef Ortheil: Das Verlangen nach Liebe. Luchterhand, Erstverkaufstag 9. August 2007, 320 Seiten, 19,95 Euro Weitere Buchtipps finden Sie hier!