Bereits in seinem letzten Roman »Die große Liebe« hatte Ortheil das späte Glück zwischen einer Meeresbiologin und einem Journalisten thematisiert, das, zufällig im Urlaub gefunden, verteidigt und hartnäckig festgehalten werden musste. In »Das Verlangen nach Liebe« lotet Ortheil nun das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen dem Pianisten Johannes und der Kunsthistorikerin Judith aus, die sich nach 18 Jahren der Trennung plötzlich gegenüberstehen: Er, der Unsichere, Getriebene, der Halt sucht in einem abgeschotteten, durch Konzerte strukturierten Leben, sie, die ordnende, vorausschauende Planende, bei deren stets für beide getroffenen Entscheidungen unklar bleibt, ob sie Johannes dominiert oder ihm die Wünsche vom Mund abliest.
Innerhalb weniger Tage entwickelt sich zwischen den beiden »ein starkes Glück, als hätten wir eine Fahrt durch einen langen, nicht enden wollenden Tunnel jetzt hinter uns und hätten auf der anderen Seite dieses Sankt Gotthard endlich ins Freie gefunden.« Durch seine detaillierten Beschreibungen der Gedanken des Ich-Erzählers Johannes wie auch der gemeinsam wiedererlebten Orte in Zürich nimmt Ortheil den Leser mit auf Entdeckungsreise. Er zeigt, dass Musik und Bildende Kunst nicht nur in sublimierter, artifizieller Form bereichernd sind, sondern dass Hinhören und genaues Schauen im alltäglichen Erleben höchste Genüsse darstellen: Sinnliche Erfahrungen als intensivste Wahrnehmung der Umwelt, als Schlüssel zu den Geheimnissen menschlichen Miteinanders.
Stefan Hauck
Hanns-Josef Ortheil: Das Verlangen nach Liebe. Luchterhand, Erstverkaufstag 9. August 2007, 320 Seiten, 19,95 Euro
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