Buchtipp

Alptraum einer Hochzeitsnacht

24. Juli 2007
von Börsenblatt
»Wenn er an sie dachte, staunte er, dass er das Mädchen mit der Geige hatte gehen lassen.« Edward blickt da, am Ende des schmalen, neuen Romans von Ian McEwan auf allerlei Liebschaften, ein provisorisches und auch vertändeltes Leben. Es gab die Chance zu etwas anderem: »Mit Liebe und Geduld – hätte er doch bloß beide gehabt – wären sie schon zurechtgekommen.« Wie Edward und Florence diese Möglichkeit verpassen, davon erzählt »Am Strand«. Eindringlich. Präzise. Schonungslos.
England, 1962. Es sind prüde Zeiten. Das Paar ist auf Hochzeitsreise. Es ist ihre erste Nacht. Beide sind aufgeregt, unerfahren, Florence mehr als das. Sie hat Angst vor dem, was nun unweigerlich passieren muss, davor, dass der Mann, den sie liebt, jetzt gleich in sie »eindringen« will. Sie denkt daran mit einem Gefühl von Ekel und Abscheu. Ihre Angst wird zu Panik. Edward merkt nichts davon. Er interpretiert ihre Zurückhaltung ganz anders. Das Warten steigert nur seine Lust, die er bald nicht mehr beherrschen kann. Vom ersten Satz an steuert dieser grandiose Roman mit unausweichlicher Konsequenz auf ein Fiasko zu, auf eine Hochzeitsnacht voller Enttäuschung, Wut und Trauer. Wie McEwan das Unheil minutiös aus beider Perspektive nachzeichnet, wie er zwei Liebende zeigt, die in ihrer Sprachlosigkeit nicht zueinander finden können, das ist meisterlich. Holger Heimann Ian McEwan: Am Strand, Diogenes, 208 Seiten, 18,90 Euro Weitere Buchtipps finden Sie hier!