Buchtipp

Deutsche Geschichte nah miterleben

3. Juli 2007
von Börsenblatt
Kennen Sie das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben und plötzlich stellt sich heraus, dass dem gar nicht so ist? Werner Bräunigs Roman „Rummelplatz“ entsprach wohl den Ansprüchen an Literatur in der DDR allzu sehr, als dass er veröffentlicht werden durfte. Der Roman, der Jahrzehnte in einer Schublade der Öffentlichkeit verschlossen blieb, lädt dazu ein, die ersten Jahre des „anderen Deutschlands“ bis zu den Aufständen des 17. Juni mitzuerleben.
Dieses Miterleben entsteht insbesondere durch die atmosphärischen Beschreibungen. Der Romanmittelpunkt, die Wismut AG (Uranbergbau), stellt die Weichen für die „Sprache des Kumpels“, der sich Werner Bräunig bedient. Derbe Phrasen in Dialekt, Schlägereien und Alkoholexzesse prägen den Alltag der Charaktere, deren Schicksal in lose verbundenen Episoden beschrieben wird. Zum Beispiel Christian Kleinschmidt, der studieren will, sich aber als Professorensohn erst in proletarischer Arbeit beweisen muss. Ruth Fischer, die in einer Papierfabrik versucht, sich als Frau zu emanzipieren – und damit zeigt, wie wenig die Gleichberechtigung der Frau in der DDR Realität war. Peter Loose, ein Außenseiter und Draufgänger, dessen Leben sich zentral um Exzess und Leistung dreht – bis ihn die SED wegen Rowdytums ins Gefängnis befördert. Gerade durch diese gebrochenen Persönlichkeiten offenbart sich in jedem Einzelnen ein „Held des Alltags“. Jede der Figuren, die über die gesamte Handlung hinweg ihren Auftritt haben, besitzt eine Strategie, sich nicht selbst aufzugeben – innerhalb des gesellschaftlichen Systems, das teils sehr offen, teils indirekt kritisiert wird. Vom Behagen im „besseren“ Deutschland kann zu keinem Zeitpunkt die Rede sein. Gleichzeitig ist auch Westdeutschland nie Alternative: Bergbau, unter Tage – das dunkle Bild, das man hiermit assoziiert, ist auch Sinnbild für den Nihilismus, der Bräunigs Personen prägt. Diesem Roman gelingt es, gesamtdeutsche Geschichte erlebbar zu machen. Weit mehr als der Zeigefinger so manches Geschichtsbuchs wirkt Bräunigs Bergbauprosa: Man kann sich verlieren in der Geschwindigkeit, die dieses Buch besitzt – in den einzelnen Handlungssträngen, in den Monologen, in der rasanten Zugfahrt in die Tiefen der Deutschen Demokratischen Republik, die auch Ausblicke nach Westdeutschland bietet. Ein Buch, dessen Lektüre lohnt! Michael Wickles, Auszubildender bei Loewe und Gastautor Werner Bräunig: Rummelplatz. Mit einem Vorwort von Christa Wolf. Aufbau 2007, 768 Seiten, 24,95 Euro Weitere Buchtipps finden Sie hier!