Reichholfs These, dass der Klimawandel nur auf dem Hintergrund der Naturgeschichte des vergangenen Jahrtausends seit Beginn der ersten Wetteraufzeichnungen begriffen werden könne, lässt aufhorchen. Und mehr noch das Wetter mit all seinen Unbilden und Temperaturschwankungen ist auch eine bisher unterschätzte Triebkraft der Geschichte: Überall dort, wo Machtzentren entstanden oder Reiche vergangen seien, schreibt Reichholf, habe es Klimaindikatoren gegeben, die diese Entwicklung vorhersagbar erscheinen lassen. Wo warmes Klima mit ausreichenden Niederschlägen vorherrschte, konnten nicht nur reiche Ernten eingefahren werden, sondern auch »Bevölkerungsüberschüsse« erzielt werden. Diese hatten wiederum Expansionsbewegungen oder Eroberungszüge etwa in die Neue Welt zur Folge. Und gerade heute schreibt das Klima Geschichte, wenn, wie soeben in Heiligendamm zu besichtigen, die G 8 einen globalen Konsens in der Klimapolitik erzielen.
Reichholfs Buch ist nicht unbedingt wegen seiner argumentativen Geradlinigkeit lesenswert, sondern eher wegen seiner erfrischenden, manchmal assoziativen Quergedanken, die die aktuellen Diskussionen um Klimawandel und Migration in ein anderes Licht tauchen, den Fragehorizont erweitern und die manchmal etwas kurzatmige Hysterie der Mediendebatten relativieren. Statt den heraufziehenden Untergang der gesamten Biosphäre (einschließlich der Spezies Mensch) zu beschwören, zeigt Reichholf, welche Strategien das Leben im Laufe der Evolution entwickelt hat, um sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Reichholf schreibt zudem eine wissenschaftliche Prosa, die anschaulich, stilsicher und unterhaltend zugleich ist auch dafür hat ihm die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung den Sigmund-Freud-Preis 2007 zuerkannt.
Josef Reichholf: »Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends«. S. Fischer, 2007, 336 S., 19,90 Euro
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