Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik

Wahre Worte und viele Weggefährten

17. März 2018
Redaktion Börsenblatt

Messe-Donnerstag auf der Leipziger Buchmesse. Im überfüllten Forum „Die Unabhängigen“ wird es mitten im lauten Messetrubel plötzlich fast leise: Der Literaturkritiker, Lyrikrezensent und Publizist Michael Braun wird mit dem Alfred-Kerr-Preises für Literaturkritik ausgezeichnet – für sein außergewöhnliches Engagement für die deutsche Gegenwartslyrik.

Der in Heidelberg lebende Literaturkritiker hat zahlreiche Anthologien zur Gegenwartslyrik herausgegeben, veröffentlicht regelmäßig Essays zu Fragen der zeitgenössischen Poetik. Er hat den „Deutschlandfunk-Lyrikkalender“ verantwortet, in dessen Nachfolge der jährliche „Lyrik-Taschenkalender“ erscheint.

Im Publikum viele Kollegen und Wegbegleiter, um diesen engagierten Streiter für die Lyrik zu ehren  – Verleger, Lyriker und auch Kerr-Preisträger der vergangenen Jahre wie z.B. Nico Bleutge. Immer wieder hat die Jury des Preises in den letzten Jahren mit der Wahl der Preisträgerinnen und Preisträger die Lyrik in den Blickpunkt gerückt, nach Bleutge und Dorothea von Törne hat nun mit Michael Braun einer den Preis erhalten, der sich seit über drei Jahrzehnten in ganz unterschiedlichen Rollen mit großem Engagement der deutschsprachigen Gegenwartslyrik verschrieben hat. „Was für ein Glück für die Lyrik!“, rief Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller in seiner Begrüßung. Braun sei ein „überfälliger Träger des Alfred-Kerr-Preises für Literaturkritik“.

Die Laudatio hielt der Leiter des Frankfurter Literaturhauses Hauke Hückstädt – in Vertretung des erkrankten Dr. Henning Ziebritzki, Geschäftsführer im Tübinger Mohr Siebeck Verlag. Auch Ziebritzki hat enge Verbingung zum lyrischen Fach: Er veröffentlichte Lyrikbände sowie Gedichte, Übersetzungen und Essays zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur in zahlreichen Anthologien und Zeitschriften. „Du siehst: Wir, deine Wegbegleiter, sind vor deinem Werk sprachlos, es verschlägt uns sogar der Reihe nach die Stimme“, scherzte Hückstädt, der pünktlich zur Preisverleihung nun selbst heiser war. Die lobenden Worte gingen ihm, dem langjährigen Freund Brauns, aber auch mit belegter Stimme leicht über die Lippen: Wie wenige andere habe Braun das Talent, in einem Werk das zu entdecken, worüber zu streiten sich lohnt. Dabei verfüge Braun über einen selten ausgeprägten Sinn sowohl für neue Autoren als auch für die zu Unrecht vergessenen Schriftsteller. Er sei einer, dessen Herz am stärksten für die Außenseiter schlage, die im schlimmsten Fall sowohl in der Lebenskunst versagt hätten als auch im Beruf des Schriftstellers erfolglos geblieben seien.

Die Freude über die anerkennende Worte der Freunde Ziebritzki und Hückstädt waren dem frisch gekürten Preisträger anzusehen. In seiner Dankesrede widmete er sich der Frage, warum sich einer wie er überhaupt mit Gedichten befasst. Es habe mit dem eigenen Existieren zu tun, mit dem Versuch, dem Rätsel des eigenen Daseins auf die Spur zu kommen. Gedichte sprächen von dem skandalösen Faktum, „dass wir geboren worden sind und dass wir in noch nicht vorstellbarer, aber doch nicht allzu ferner Zukunft sterben werden.“

Doch diese Gedanken an Tod und Sterben waren am Messe-Donnerstag wohl auch beim frisch gekürten Preisträger in die Ferne gerückt. Im Anschluss an die Preisverleihung feierte er mit den zahlreichen Gratulanten noch bei einem Umtrunk.
Und mitten im lärmenden Messetrubel in der Enge zwischen den Ständen in Halle 5 wurde deutlich: Eine würdige Preisverleihung braucht keinen gediegenen, ernsten Rahmen. Nur wahre Worte und einen würdigen Preisträger.