Die Vergangenheit, lautet ein berühmtes Bonmot von William Faulkner, "ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen". In diesem Sinn: Rassismus ist wieder ein großes Thema. Als Realität in den Vereinigten Staaten, wo das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen wieder so vergiftet und von Gewalt geprägt zu sein scheint wie in den 60er Jahren, aber auch zunehmend in Deutschland, wo sich Vielfaltsemphase und Not-Welcome-Wut unversöhnlich gegenüberstehen. Rassismus ist zum Vorwurf geworden, der bei einem falschen Wort und dem Verdacht einer Benachteiligung sofort locker sitzt.
Allerdings ist der Begriff des "Rassismus" sehr unscharf. Die eigentliche Bedeutung – eine Abwertung von Menschengruppen aufgrund ihrer biologischen Eigenschaften – spielt bei seiner alltäglichen Verwendung kaum noch eine Rolle. Da geht es vielmehr um Vorurteile und Feindseligkeit, die mit Fremdheit, anderer Kultur und anderer Religion zu tun haben. Es geht um Zuschreibungen von Eigenschaften, um Projektionen und Phantasmen. Und genau davon handelt William Faulkners mit dem Nobelpreis ausgezeichneter Roman "Licht im August" (Hörbuch Hamburg, 8 CDs, 19,95 Euro) aus dem Jahr 1932, der nun in einer aufwendigen und geglückten Hörspielbearbeitung vorliegt. Regie führte Walter Adler, ein Garant für akustische Feinarbeit.
Der von Tom Schilling gespielte Joe Christmas ist die symbolisch aufgeladene Zentralgestalt. Er ist der "weiße Nigger", ein Paria, von Geburt an verstoßen durch seinen in Satansvorstellungen gefangenen Großvater, im Hörspiel furios gekrächzt von Hans-Michael Rehberg. Aber er lässt sich einreden, er habe "schwarzes Blut" – es ist sein Stigma und zugleich sein grimmiger Stolz, denn es erklärt sein Außenseitertum. Und bald sieht auch die Umwelt in ihm ungeachtet der weißen Haut den "Schwarzen". In der segregierten Südstaaten-Gesellschaft ist Joe Christmas ein Grenzgänger zwischen den Rassen, der überall provoziert, ein wandelnder Affront gegen die Kategorisierungen. Er wird geschlagen und schlägt zurück. Schließlich wird ihm der Mord an einer weißen Frau angelastet, mit der er ein Verhältnis hatte, er wird gejagt und gelyncht. Pathos und Paranoia sind die Triebkräfte des Romans. Das Hörspiel tut gut daran, ihn nicht ganz ins Szenisch-Dialogische aufzulösen, sondern dem Erzähler (brillant: Ulrich Matthes) einen dominanten Part zu überlassen. So ist eine subtile Inszenierung mit einigen grellen, fast surrealen Momenten entstanden, die den amerikanischen Süden einerseits als dunkle, entrückte Welt zeichnet, andererseits als beklemmend gegenwärtig.
Die Obsessionen, die mythische Größe und die Hillbilly-Provinzialität der Südstaaten – darum geht es auch bei Flannery O'Connor. "Keiner Menschenseele kann man noch trauen" (Arche Verlag, 4 CDs, 22 Euro) ist eine hinreißende Kostprobe aus der Erzählwelt der hierzulande noch zu entdeckenden Autorin, die 1925 in Savannah, Georgia, geboren wurde und mit nur 39 Jahren an einer Autoimmunkrankheit starb. Ihre Figuren sind wunderliche, misstrauische und manchmal ziemlich hinterhältige Charaktere. Man darf ihnen wirklich nicht trauen, etwa dem zunächst etwas einfältig erscheinenden Bibelverkäufer in der Meistererzählung "Anständige Leute vom Land". Eine anrührende Liebesgeschichte zwischen diesem offenbar grundanständigen Mann und der einbeinigen Philosophiestudentin Joy, die ihren Namen als Hohn empfindet, scheint sich zu entwickeln. Am Ende aber entpuppt sich der Bibelverkäufer als Prothesenfetischist.
Bei der langen Erzählung "Der Flüchtling" wird einem geradezu schwindlig im Spiegelkabinett der Vorurteile und Ressentiments: Kriegs- und Holocaust-Flüchtlinge aus Europa, "weißes Gesindel", "Nigger" (wie in der Erzählwelt Faulkners ist das N-Wort unvermeidbar) – sie alle stören für die Gutsbesitzerin Mrs. McIntyre das "Idyll" des ländlichen Südens. Nina Petri liest Flannery O'Connors Geschichten einfühlsam, aber ganz unsentimental – und sie bringt die trockene Komik zur Geltung.
Eine weitere Wiederentdeckung ist die 1916 in Palermo geborene Schriftstellerin Natalia Ginzburg. Ihr Kurzroman "Valentino und fünf Erzählungen" (Der Diwan, 4 CDs, 17,95 Euro) dreht sich um den Hoffnungsträger einer Kleinbürgerfamilie. Alle müssen sparen, damit Valentino Medizin studieren kann. Der entpuppt sich jedoch als leidenschaftlicher Bummler und Schmarotzer – eine Enttäuschung auch für die Schwester, aus deren Perspektive der Roman erzählt wird. Zur allgemeinen Verwunderung heiratet Valentino schließlich die reiche, aber leider ziemlich unansehnliche Maddalena. Dass ihm die weiblichen Reize so erstaunlich gleichgültig sind, hat offenbar einiges mit seiner verkappten Homosexualität zu tun. Die Ehe wird ein Desaster. In einfachen, schörkellosen Sätzen fasst Ginzburg menschliches Unglück ins Auge: Lebenslügen und Familienillusionen, Ehen und Partnerschaften, in denen die Gefühle nicht stimmen. Die eindringliche Lesung von Marit Beyer bringt die kluge, lakonische Psychologie dieser Erzählerin pointiert zur Geltung.
Hörspiele basieren meist auf Dramen oder Erzählwerken. Gelegentlich findet aber auch die Dichtung ihren Weg ins akustische Medium. Dann wird das Hörspiel zur Hördichtung: Man denke an das legendäre Stimmenstück "Unter dem Milchwald" von Dylan Thomas. Davon hat sich der Büchnerpreisträger Jan Wagner nun inspirieren lassen bei seiner Hörrevue ("Gold. Revue", Der Hörverlag, 2 CDs, 16,95 Euro) – einem Stimmenchor der Abenteurer und Glücksritter auf der Suche nach dem Edelmetall. Beginnend mit dem immer knurriger und gespenstischer klingenden Bass von Mechthild Grossmann sind hier unter der Regie Leonhard Koppelmanns zwölf Goldkehlen der deutschen Hörspielszene am Werk, die engagiert und prononciert agieren bei der Darbietung der rhythmisierten Sprachpartitur, ihren Slogans und Songs.
Sprachwitz und Goldgräber-Klischees werden ausgekostet; dazu kommt eine filigrane Musikbegleitung aus schrägen E-Gitarrenklängen, Percussion und Geräuschen. Man lauscht den klappernden Spaten und dem über die Öde fegenden Wind, die Goldsucher ächzen unter der brennenden Sonne, hoch über ihren "das Hungermobile der Geier".
Goldig geht es bekanntlich auch beim anderen Wagner zu, in "Der Ring des Nibelungen" (GoyaLit, 1 MP3-CD, 12,95 Euro). Der Zwerg Alberich wird von den koketten Rheintöchtern zum Narren gehalten; alles Elend beginnt mit einem frustrierten Mann. Alberich verflucht die Liebe und setzt stattdessen auf materielle Werte und Macht: Mit dem Raub des Rheingolds kommt der Verhängniszusammenhang in die Welt. Unterdessen kriegt Wotan die Immobilienkrise. Er kann die Baufirma Fasolt & Fafner, die ihm die Götterburg Walhall errichtet hat, nicht wie vereinbart bezahlen. Als Lohnersatzleistung kommt allein das Rheingold infrage. So geht er auf Raubzug hinunter nach Nibelheim, in Alberichs Sklaventreiberwelt. Ein Unheil sprießt aus dem anderen.
Richard Wagners skurriles, stabreimendes Starkdeutsch ist eine opulente Vorlage für den Performer Stefan Kaminski. Seine Stimme grummelt, wettert und kreischt sich durch die Saga von Geld und Gold, Verrat und Rache, Liebe und Geschlechterkampf; der Originaltext wird nach Lust und Laune parodiert und verändert. Es ist eine knallige Comicversion, Wagner-Slapstick, aber zugleich eine liebevolle Hommage – und ein Hörbuch-Highlight, das nun wieder auf MP3-CD erhältlich ist.
Kaum weniger Hörspaß und Klamauk bieten die "Städtebeschimpfungen" von Thomas Bernhard (Der Hörverlag, 3 CDs, 15,95 Euro). Weltekel und Verzweiflung bestimmen die Monologe seiner Figuren. Ortsnamen werden zu Chiffren des Unglücks und der Gemeinheit, zu Silben, die das Elend in sich aufgesogen haben und mit entsprechendem Pathos zu deklamieren sind. "Lebenslängliche Kerkerhaft" wartet in Stein an der Donau. "Trier! In Trier ist die Intelligenz nicht zu Hause!" "Bremen verabscheute ich vom ersten Moment an." "30 Jahre in Dinkelsbühl!" Die aus den Romanen und Stücken entnommenen Tiraden sind weitgehend austauschbar, aber sie treffen dennoch. In Augsburg etwa ist die Aufregung riesig über die Verunglimpfung als "Lechkloake". Echte Emphatiker sind hier am Werk: der grantelnde Autor Bernhard und der ihm sein Pathos und seine Stimme zur Verfügung stellende Schauspieler Peter Simonischek; Michael König liest die Fußnoten.
Komisch-theatralisch geht es auch zu, wenn der einstige Vorlesekönig Gert Westphal Vladimir Nabokovs Kriminalgroteske "Verzweiflung" vorträgt (DAV, 1 MP3-CD, 8,95 Euro). Sie handelt von dem windigen Schokoladenfabrikanten Hermann Karlowitsch, der auf einer Geschäftsreise im Landstreicher Felix seinen Doppelgänger erkennt. Was macht man mit einem Doppelgänger? Klar, man bringt ihn um, damit man als vermeintlich Toter die eigene Lebensversicherung einstreichen kann. Ein verwegener Plan, der aber scheitert, weil die Welt (und das beginnt mit den Gesichtszügen des Opfers) nicht so ist, wie sie der Schokoladenfabrikant in seiner lebhaften Fantasie und seiner prahlerischen Selbstherrlichkeit wahrnimmt. Wolfgang Herrndorf hat diesen Roman geliebt – kaum erstaunlich, er ist ein Meisterwerk in der Technik des unzuverlässigen Erzählers.
Ein anderes Mittel modernen Erzählens ist der Naivitätston. Irmgard Keun war eine der ersten deutschen Schriftstellerinnen, die ihn perfektioniert hat. Die Welt soll sich in ihrer Widersinnigkeit offenbaren, wenn man so tut, als verstünde man sie nicht ganz – oder jedenfalls nicht so, wie sie verstanden werden will. Was in heutigen Romanen manchmal allerdings wie eine infantile Manier wirkt, hat bei Keun noch literarische Sprengkraft, denn die Welt, die sie auf diese Weise traktiert, ist der Alltag des Nationalsozialismus, etwa in ihrem Roman "Nach Mitternacht" aus dem Jahr 1937, den es nun in einer straffen Hörspielfassung unter der Regie Barbara Meerkötters gibt (DAV, 2 CDs, 13,95 Euro).
Durch die Stimme ihrer jugendlichen Protagonistin Sanna, gespielt von Lisa Wagner, macht sich Keun lustig über das, was eigentlich nicht lustig ist, aber doch unfreiwillig komisch wirken kann: pompöse SA-Männer, Tanten mit dem Sendungsbewusstsein der NS-Frauenschaft, Zeitgenossen, die von Hitlers "seelischer Aufopferung" schwärmen. Oder auch der "Führer" selbst, wie er mit regloser Miene in einem "herrlichen" Wagen stehend an einer hysterischen Menschenmenge vorüberfährt. Er sieht aus wie ein Karnevalsprinz, aber er "warf nicht mit Bonbons, sondern hob bloß eine leere Hand". Ein scharfsinniges akustisches Epochenporträt.
Schnappschüsse aus der Lebenswirklichkeit der 30er und 40er Jahre bieten auch Hans Falladas Erzählungen aus dem Nachlass, gelesen von Ulrich Noethen, dessen trockener, lakonischer Ton sich bereits bei Falladas wiederentdecktem Meisterwerk "Jeder stirbt für sich allein" vorzüglich bewährt hat. "Junge Liebe zwischen Trümmern" (Osterwold, 5 CDs, 16,95 Euro) ist keine perfekte Literatur, aber eine reizvolle Sammlung von Skizzen, Entwürfen und autobiografischen Texten, die Licht auf viele Stationen aus Falladas romanhaftem Leben werfen, beginnend mit jener ungeheuerlichen Beschreibung eines jungen Mannes mit zwei Einschusslöchern in der Brust, in denen das Blut »zischt« – der achtzehnjährige Fallada selbst, nachdem er seinen Freund im Scheinduell, das eigentlich ein Doppelselbstmord sein sollte, erschossen und dann den Revolver gegen das eigene Herz gerichtet hat.
Zu den wichtigen literarischen Terminen dieses Jahres gehört der 200. Geburtstag Emily Brontës am 30. Juli. Die britische Schriftstellerin wurde nur 30 Jahre alt; ihr Werk ist schmal, ein einziger Roman hat in ihrem Fall für den Weltruhm genügt: "Sturmhöhe". Zum Jubiläum gibt es zwei ungekürzte Hörbuchfassungen; bei der einen (Audiobuch Verlag, 12 CDs, 22,95 Euro) lesen Beate Rysop und Wolfgang Berger im Wechsel und markieren dadurch die Geschlechterspannung in Brontës Erzählwelt auch akustisch. Bisweilen klingt der Roman hier aber ein wenig zu brav und aufgesagt. Im Alleingang liest ihn dagegen der 2014 verstorbene Rolf Boysen (Der Hörverlag, 10 CDs, 20,95 Euro). Seine wuchtige, maskuline Deklamation, mit der er viele eindrückliche Klassiker-Lesungen von Homer bis Kleist geschaffen hat, kann bei diesem Referenzwerk der weiblichen Literaturgeschichte zunächst irritieren. Aber schnell zeigt sich: Dieser Roman voller Leidenschaftlichkeit und Selbstzerstörung, voller Stolz, Wut und Wahn ist eine ideale Partitur für den Pathetiker Boysen. Sein kantiger, schroffer, manchmal kauzig-komischer Ton treibt alles Sentimentale aus dem Text heraus und bringt Brontës illusionslose, in der Tradition Shakespeares stehende Kunst der Menschendarstellung zur Geltung. Gebannt lauscht man dieser intensiven Lesung, einer Sturmhöhe der Vortragskunst.