1967 bekam ich zu Weihnachten eine Schallplatte mit Bob Dylans "The times they are a-changin'" (da war ich 15) und auch in der schwäbischen Kleinstadt hatten wir Jugendliche das noch diffuse Gefühl von einer Art Aufbruch zu neuen Ufern – und wir würden dabei sein! Dieser Song hat mich mein Leben lang begleitet. Änderungen in meinem Leben ergaben sich meist auf leisen Sohlen. Lehrerstelle in Hamburg, warum nicht? In einem Sabbatjahr bei einer Bekannten ein bisschen im neu gegründeten Hörbuchverlag im Büro aushelfen? Das klang spannend und eine Leidenschaft für Literatur und besonders fürs Hören hatte ich immer schon. Natürlich hatte ich früher meinen Kindern vorgelesen, bis mir der Mund fransig wurde, aber wir hatten zuhause auch kistenweise Hörkassetten und die Kinder haben sie geliebt und wieder und wieder gehört.
Ich erinnere mich noch an meine allererste Buchmesse in Frankfurt und wie begeistert ich dort über alles war, die Atmosphäre, die Menschen, die vielen Bücher aus aller Herren Länder, sogar viele Hörbücher gab es dort schon. "Noch nie habe ich auf an einem Ort so viele Menschen gesehen, die ihren Beruf so gerne machen", erzählte ich meinem Mann und meinen Lehrerkollegen. Nach wie vor sehe ich das fast als "Alleinstellungsmerkmal" der Buchbranche: die unglaubliche Begeisterung für Literatur und Hingabe ans Produkt, gemischt mit einer Portion Pragmatismus.
So hatte diese Branche mich plötzlich gepackt. Durch Zufall lernte ich Angelika Schaack kennen. Wir gründeten die Hörcompany zu einem Zeitpunkt, als es noch relativ wenige Hörbücher für Kinder gab. Als mich nach einigen Jahren meine ehemalige Schulleiterin anrief, ich solle doch an die Schule zurückkehren, sagte ich spontan: "Nein, ich komme nicht zurück." Nie mehr endlose Lehrerkonferenzen! Und jetzt blicke ich auf fast 18 erfüllte Jahre zurück, von denen ich in meiner Jugend nie zu träumen gewagt hätte.
Angelika Schaack und ich konnten schnell und einvernehmlich Entscheidungen fällen, ohne langes Wenn und Aber. Zum Glück rechnen wir beide sehr gern und hatten uns schnell beigebracht (learning by doing!), solide zu kalkulieren und sparsam mit unseren Mitteln umzugehen. Und das Wichtigste: Wir hatten Spaß am Verkaufen. Mein Wahlspruch wurde das Zitat von Alfred Döblin: "Der Verleger schielt mit einem Auge nach dem Schriftsteller, mit dem anderen nach dem Publikum. Aber das dritte Auge, das Auge der Weisheit, blickt unbeirrt ins Portemonnaie."
Als Verlegerinnen von Hörbüchern für Kinder und Jugendliche mussten wir mehrere Zielgruppen im Auge haben: Wir schielten (intensiv!) nach Lizenzen und tollen Stoffen, nach den Bedürfnissen der Kinderbuchhändler, der Eltern, Tanten, Großeltern, der Kinder und Jugendlichen − konnten den Tag nicht beginnen, ohne als erstes die Verkaufsliste des Vortags zu studieren. Mehrfach am Tag sprachen wir über den Kontostand, heutzutage "Cashflow" genannt.
Glücksfälle und Highlights gab für die Hörcompany jede Menge: Wir waren relativ früh am Markt, was uns einen sehr komfortablen Start ermöglichte. Durch ein Gespräch auf der Leipziger Buchmesse ergab sich die fruchtbare Vertriebskooperation mit der Verlagsgruppe Beltz, die bis heute gut läuft. 2015 kamen wir mit Jan Weitendorf in Gespräch, der uns anbot, den Verlag mit unter seine Fittiche zu nehmen. So konnte ich sogar gegen Ende meiner Berufstätigkeit noch mit mehreren Buchverlagen auf einem Flur zusammenarbeiten.
Manches hat sich in den Jahren verändert: Zunehmend sprach sich herum, dass das Hörbuch im Aufschwung ist, neue Produzenten und Verlage kamen hinzu (von denen etliche wieder verschwunden sind). Konnten wir früher Verträge auf unbestimmte Zeit abschließen, sind die Laufzeiten heutzutage begrenzt, bei Verlängerungen muss man sich genau überlegen, ob es sich lohnt, einen Refresh zu zahlen. Wie schade! So liegen Produktionsschätze einfach auf Eis.
Und es kamen neue Vertriebswege hinzu: Nebenmärkte, bei denen ganz anderes gerechnet werden muss. Und natürlich die digitalen Vertriebswege, Downloads, Abos, Streaming, die die Kalkulationen nicht einfacher machen. Zum Glück bleiben physische CDs oder Sammelboxen für Kinder oder Jugendliche nach wie vor ein beliebtes Geschenk. Neben Ideen, die bald wieder in der Versenkung verschwanden, gibt es auch Neuerungen, die richtig gut einschlagen, wie der großartige Erfolg der Tonie-Boxen zeigt. Eine geniale Verbindung aus überwiegend physisch und ein bisschen digital. Wenn ich später im Altersheim bin, möchte ich eine Box mit Mick Jagger, John Lennon und Bob Dylan als Tonies.
Doch zurück zur Hörcompany: Wir haben wunderbare Lesungen veranstaltet, unser Lieblingsformat wurde "Autor trifft Sprecher". Gern erinnere ich mich an eine Lesung im Hamburger Kinderbuchhaus, wo wir per Skype auf einem Screen den australischen Kinderbuchautor Michael Gerard Bauer zugeschaltet hatten. Der Hörbuchsprecher, der Autor und die Kinder unterhielten sich angeregt in einem Mischmasch aus Deutsch und Englisch, die Kinder waren begeistert, ein Kind sagte: "Mein Vater wohnt auch in Argentinien".
Unsere Hörbücher erhielten zahlreiche Preise und Platzierungen auf Bestenlisten. Bald zählten wir zu den Hörbuchverlagen mit den meisten Auszeichnungen, zwischen lauter größeren Verlagen. Während ich dies schreibe, freue ich mich über den Deutschen Hörbuchpreis 2018, vergeben von einer Kinderjury (also der „echten Zielgruppe“) für "Die furchtlose Nelli ..." (Anm. der Redaktion: siehe Archiv), einen turbulenten Kinderroman in skurrilem Zirkusmilieu. Dazu über zwei Plätze auf der hr2 Hörbuchbestenliste im Februar.
Na, dann kann ich ja in Ruhe zu neuen Ufern aufbrechen, als frisch gebackene Großmutter und neugierige Reisende mit viel Zeit zum Lesen und Hören. The times they are a-changin‘ ... Wie schön, dass das so bleibt!
zur formidablen Gemeinschaftsleistung Hörcompany müssen zwei Dinge zusätzlich genannt werden. Ihr habt noch ein viertes Auge: nämlich das auf die Qualität Eurer Programmauswahl, der Sprecher, der Inszenierung (viel mit Musik) und der Aufmachung Eurer CDs. Und Ihr habt das sympathische, aber langsam veraltende Modell des erfolgreichen Ein-Mann-Verlags um den quicklebendigen und erfolgreichen Zwei-Frauen-Verlag ergänzt.
Und bis Du so alt bist, dass ein Altersheim in Frage kommen könnte, wirst Du eine bessere Lösung gefunden haben. Don´t think twice, it´s alright.
Ulrich Störiko-Blume
Schöne Grüße,
Nele Handwerker